Wie man erblindet und doch wieder sehen kann

 

 

Man sieht nichts, man hört nichts. Ständig unter Menschen aber doch irgendwie isoliert. Ein Leben in einer eigenen Welt?

 

Hanady ist taubblind und das Institut ist eigentlich ihr zu Hause. Täglich begegne ich ihr und bin immer wieder erstaunt, wie sie ihr Leben bestreitet. Somit haben ich mir viele Fragen gestellt, auf welche ich mir in einem Interview mit Hanady Antworten erhoffe. Ich fragte also die zweite Verantwortliche der taubblinden Abteilung Asma (sie ist gehörlos), ob ich nicht zusammen mit ihr ein Interview mit Hanady machen könnte. Asma fand diese Idee sehr gut und organisierte einen Termin. Also trafen wir uns und ich durfte das Interview aufzeichnen, sodass ich es später abtippen konnte. Dabei war ich sehr froh, dass Asma mich bei meinen Fragen unterstützte, da sich taktile Gebärdensprache doch ein Wenig von der normalen Gebärdensprache unterscheidet. Aber was ist taktile Gebärdensprache eigentlich? Man kommuniziert sozusagen über Bewegungen, da sein Gegenüber ja nichts sieht und hört. Hanady versteht mich, indem sie meine Hände von oben greift und meine Gebärden erfühlt. Das ein oder andere Mal kam es dabei schon zu Missverständnissen, aber alles in allem ist das Interview sehr gut geworden. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und hoffe, dass man einen kleinen Einblick in das Leben einer taubblinden Person erhaschen kann.  

 

 

 

Asma (A): Also, dort sitzt Leon. Er wird dir nun einige Frage stellen.

 

 

Hanady (H): Hallo Leon.

Leon (L): Hallo Hanady, wie geht es dir?

H: Mir geht es gut, Gott sei gedankt. Wie geht es dir?

L: Super. Gott sei gedankt.

 

H: Es ist schön, dass du da bist.

 

L: Danke, die Freude ist ganz meinerseits.

 

Da die Gebärde „Danke“ am Gesicht gebärdet wird, haben Hanadys Hände wegen der taktilen Gebärdensprache meine Brille ein Wenig verschoben.

 

H: Entschuldigung, dass ich deine Brille verschoben habe.

 

L: Kein Problem. (Die Gebärde, die ich hier verwendet habe, bedeutet im Arabischen, dass etwas ganz normal und alltäglich ist)

 

A zu H: Gerade wurde alles mitgefilmt, ist dies für dich okay?

 

H: Ja, damit bin habe ich kein Problem. Von mir aus sind Fotos und Videos erlaubt.

 

 

L: Erste Frage: Wie alt bist du?

 

H: 56.

 

 

L: Vor langer Zeit, als du geboren wurdest, warst du da schon taub und blind, nur taub oder konntest du vielleicht noch ein Bisschen hören?

 

H: Als ich geboren wurde, war ich nur taub. Ich hatte zudem hohes Fieber. Nach meiner Geburt wurde ich sofort in ein Krankenhaus nach Amman gebracht, in welchem die Ärzte meine Gehörlosigkeit bestätigten.

 

L: War deine Sehfähigkeit auch beeinträchtigt?

 

A: Nein, sie war nur taub.

 

A zu H: Du hattest nicht nur eine Gehörschwäche, du warst völlig taub, oder?

 

H: Ja ich war völlig taub.

 

Nun gab es kleines Missverständnis, da Hanady für ihre Fieberkrankheit eine ähnliche Gebärde verwendete, wie die Gebärde für Gehörschwäche. Aus diesem Grund hat Asma nochmals nachgehackt.

 

 

L: Wie alt warst du, als du erblindest bist? Wurde dein Sehvermögen langsam immer schlechter und schlechter oder hast du ganz plötzlich vom einen auf den anderen Tag nichts mehr gesehen?

 

Bei dieser Frage habe ich ziemlich ungenau gebärdet. Ein sehender, gehörloser Mensch hätte dies wahrscheinlich verstanden, für eine taubblinde Person war dies aber wirklich schwer zu verstehen. Deshalb hat sich Hanady zu Asma gewendet.

 

H zu A: Hat Leon gerade über sich selber geredet?

 

A: Nein, in diesem Interview geht es nur um dich. Du stehst im Mittelpunkt.

 

H: Alles klar.

 

A: Als du geboren wurdest, warst du taub?

 

Diese Frage wiederholte Asma, um wirklich sicher zu gehen, dass Hanady zum einen bei der Sache ist und zum anderen versteht, auf was ich hinaus möchte.

 

H: Ja.

 

A: Du konntest also sehen.

 

H: Genau.

 

A: Hattest du früher nicht mal eine Brille?

 

H: Doch ich kann mich daran erinnern. Zuerst konnte ich sehr schlecht sehen. Alles was in weiter Ferne lag, war verschwommen. Ich konnte schon noch normal laufen. Allerdings sahen manche Dinge für mich so aus, als wären sie direkt vor mir. Das hat mich dann manchmal erschrocken. Deshalb ging ich zum Arzt, welcher mir eine Sehhilfe gab. Dann konnte ich perfekt sehen und ohne Probleme laufen.

 

A: Wie alt warst du, als du deine Brille bekamst?

 

H: Ich war 20 Jahre alt.

 

 

A: Okay, jetzt folgt eine Frage: Hat sich deine Sehvermögen langsam verschlechtert oder warst du ganz plötzlich blind?

 

H: Also, ich ging zuerst zu einem Arzt. Der hat dann ein paar Bilder von meinen Augen gemacht und gemeint, dass etwas mit beiden Augen falsch sei. Daraufhin habe ich meine Brille abgelegt und konnte nur verschwommen sehen. Dann bekam ich Medikamente. Augentropen. Nach einiger Zeit aber, konnte ich trotz meiner Brille nicht mehr gut sehen. Ab diesem Moment war ich fast blind. Am 14.3.2010 hat man mir dann meine Augen rausgenommen und von etwas Schwarzem gesäubert. Allerdings hat diese Operation nicht viel geholfen und wir haben uns weiter nach Hilfe umgeschaut. Außerdem hatte ich eine Zeit lang eine Angestellte aus Asien, die mich über den Tag unterstützt hat.

 

A zu L: Verstehst du was diese Angestellte ist?

 

L: Ich denke schon. Genauso eine Angestellte, die wir hier auch an der Schule haben.  

 

A: Nicht wirklich, weil diese war nur alleine für Hanady verantwortlich. Sie hat Hanady durch den Tag begleitet, auf sie aufgepasst und geführt.

 

L: Okay, verstanden.

 

A zu H: Wie alt warst du, als du Blind wurdest?

 

H: 40.

 

H zu L: Ich war 40 Jahre alt, als ich erblindete.

 

Hanady war sich nicht ganz sicher, da sie ja blind ist, ob ich auch das gesehen habe, was sie zu Asma gebärdete. Deshalb hat sie manches nochmal in meine Richtung wiederholt.

 

L: Ich habe alles verstanden.

 

H: Als ich blind wurde, war ich sehr traurig und habe viel geweint. Auch meine Mutter und mein Vater waren sehr traurig und aufgewühlt. Mein Vater hat allerdings auch gemeint, dass Gott mir dieses Leben geschenkt hat und aus diesem Grund bin ich Gott auch dankbar. Somit konnte ich mich wieder etwas sammeln. Daraufhin besuchten wir viele Krankenhäuser und hatten Gespräche mit verschiedenen Ärzten. Vor allem in Amman. Wir wurden oft weitergeleitet und an einen anderen Ort geschickt. Wir riefen auch verschiedene Personen an und fragten nach Hilfe. Ein Arzt in Amman stellte uns sogar eine Therapie in Aussicht, welche aber unglaublich teuer war.

 

L: Zusammengefasst, war deine Familie und du sehr traurig und ihr habt alles versucht, um dir zu helfen.

 

H: Genau und ein Arzt in Amman hat wieder Bilder von meinen Augen gemacht und uns eine Therapie in Aussicht gestellt. Diese war aber zu teuer und hätte alles in allem 2200JD gekostet.

 

 

L: Hat dich deine Familie während dieser Zeit unterstützt? Ich meine, sie sind mit dir in verschiedene Krankenhäuser gefahren und haben sich anscheinend gut um dich gekümmert.

 

Hier muss man anmerken, dass eine taubblinde Person keine Ahnung von dem hat, was um sie herum passiert. Man hört nichts, man sieht nichts. Dies ist unglaublich schwer und für die meisten Menschen auch unbegreiflich. Deshalb braucht jemand mit solch einer Behinderung immer eine Person, die erklärt, was gerade in der Umgebung so passiert. Jemand taubblindes muss dieser Person auch vertrauen. Ansonsten hat man so gut wie dauerhaft Angst, weil man ja nicht weiß, wo man ist und was um einen herum passiert.

 

Auch bei dieser Frage habe ich einfach mit Hanady so gebärdet (aber trotzdem in taktiler Gebärdensprache), als sei sie nur eine taube Person.

 

A zu L: Frag sie nochmal und füge am Ende ein „Jaodernein“ hinzu.

 

Daraufhin wurde Hanady von Asma nochmals daraufhin hingewiesen, dass es in diesem Interview nur um sie alleine geht. Dadurch kann Hanady die Fragen besser verstehen, da klar ist, dass jede meiner gebärden an sie gerichtet ist und nicht an jemand anderes.

 

Hanady hat nach dieser Erklärung von Asma die Frage auch verstanden.

 

H: Ja sie haben sich um mich gekümmert, da sie ihr bestes gegeben haben, mir zu helfen.

 

L zu H: Ich habe alles verstanden. Was hast du dann in dieser Zeit noch so gemacht, außer dass du Ärzte und Krankenhäuser besucht hast? Saßt du einfach lange Zeit herum?

 

H: Mein Vater war Händler und hat durch seine Arbeit verschiedene Hotels besucht. Meine Mutter hat den Haushalt gemacht. Ihr konnte ich manchmal helfen beim Abspülen zum Beispiel. Wenn mein Vater dann nach Hause kam und Fernsehen schaute, saß ich nur herum.

 

 

L zu H: Also hast du damals lange Zeit nichts gemacht?

 

Auch hier hat Asma nochmals die gleiche Frage an Hanady gestellt, um sicher zu gehen, dass sie diese auch versteht.   

 

H: Ja genau. Das war eine schwere Zeit und das lange sitzen und nichts tun hat mich auch sehr genervt.

 

L: Wie alt warst du, als du hier zur Schule kamst?

 

H: Das war 2011. Damals habe ich zuerst eine Lehrerin vom Institut getroffen. Sie war eine Freundin meiner Tante. Sie hat viel mit mir geredet und mir manches über das Institut erklärt. Danach haben wir bei Brother Andrew (dem ehemaligen Rektor der Schule) angerufen. Er hat uns zu Haditsche (der Leiterin der taubblinden Abteilung) weitergeleitet. Diese meinte, ich wäre herzlich willkommen. Danach kam ich mit meinem Bruder und der Lehrerin der Schule zusammen. Wir konnten ein treffen mit Brother Andrew organisieren und wir erklärten ihm einiges über mich selbst. Wer ich bin, wie alt ich bin und so weiter. Meine Mutter und mein Vater sind zu der Zeit schon verstorben. Danach wurde ein Formular ausgefüllt und dann war klar, dass ich hier an der Schule bleiben kann. Die nächsten Jahre lang lebte ich also hier an der Schule. Ich traf mich oft mit dieser Lehrerin und sie brachte mir taktile Gebärdensprache und vieles mehr in der taubblinden Abteilung bei. Dann traf ich weitere Lehrer/innen für taubblinde Menschen.

 

Hier musste ich kurz nachfrage, wer denn die Personen waren, über die Hanady gerade so gesprochen hat. Gehörlose Menschen können nämlich mit Namen nicht viel anfangen, deshalb werden allen anderen Menschen Gebärden gegeben. Die Gebärde der Lehrerin (mit der Faust seitlich an den Kopf schlagen) und ihres Bruders (mit zwei Finger um den Mund herumfahren) kannte ich noch nicht. Deshalb musste ich nachfragen.

 

 

L: Du kamst also hier zur Schule und hast angefangen verschiedene Dinge zu lernen. Taktile Gebärdensprache oder auch Brailleschrift.

 

H: Genau, ich wurde in verschiedenem unterrichtet. Unter anderem durfte ich in der Berufsausbildung ein Wenig helfen. Issa (der Maler) hat mir einiges über seine Arbeit erklärt und auch in die Autowerkstatt durfte ich manchmal mit gehen. Dort hat mich Joshua (der ehemalige Leiter der Berufsausbildung) manchmal herumgeführt. Öfters gehe ich auch zu den Mädchen in die Berufsausbildung und lerne Nähen oder Weben. Ich habe überhaupt sehr viel gelernt und war in vielem auch sehr gut. Bis heute verbessere ich täglich Brailleschrift und taktile Gebärdensprache.

 

L: Machst du auch manchmal Ausflüge und kommst raus aus der Schule?

 

H: Ja, meistens zusammen mit Asma. Dann fahren alle Taubblinden zusammen in einem Bus zu einer Blumenwiese. Ich liebe diese Ausflüge sehr und bin an diesen Tagen immer ganz glücklich. Asma macht dann häufig Bilder und Fotos, um ja nicht zu vergessen, wie schön diese Tage immer sind.

 

A zu H und L: Hanady liebt diese Ausflüge deshalb so sehr, weil sie früher lange Zeit nur zu Hause saß, vielleicht sogar versteckt wurde, und selten nach draußen gekommen ist. Ihr Geist (oder auch Verstand) war verschlossen. Sie hatte nicht viel zum Nachzudenken. Wenig Fantasie. Hier an der Schule hat sie dann plötzlich viel gelernt. Ihre Augen wurden sozusagen geöffnet. Sie hat angefangen sich wieder an Dinge und Erlebnisse zu erinnern. Und dies liegt alles nur daran, da sie viel gelernt hat. Darunter ist das Wichtigste die taktile Gebärdensprache, da sie sich nun mit vielen Menschen unterhalten und austauschen kann. Dadurch kann sie trotz ihrer Erblindung sozusagen wieder sehen. Hier am Institut kann sie mit viel Freude leben.

 

Während Asma dies zu Hanady mit einer Hand gebärdete, sodass ich es besser sehen konnte, hat Hanady mit ihrer freien Hand oft gemeint, dass sie dem zustimmt.

 

 

L zu H: Ich habe alles mitbekommen. Früher warst du also für eine lange Zeit nur zu Hause. Dir war langweilig. Hier an der Schule bist du aber sehr glücklich. Zurzeit kümmert sich dein Bruder um dich, wenn du nach Hause gehst. Versteht er Gebärdensprache und vor allem taktile Gebärdensprache?

 

H: Ich habe versucht ihn zu unterrichten, sodass er mir helfen kann und sich mit mir unterhalten kann. Allerdings wollte er dies nicht wirklich lernen, hat vieles schnell wieder vergessen und irgendwie war es ihm auch nicht so wichtig. Wenn er mir mal etwas erklären oder helfen wollte, hat er meine Hände immer falsch herum angefasst. Ich kann bis heute nicht wirklich etwas versteht, weil er mehr in der Luft herumfuchtelt, als gebärdet. 

 

Wenn man mit einer taubblinden gebärdet, greift diese Person die eigenen Hände immer von oben. Dadurch kann man den Gebärden besser folgen. Hanady hat hier meine Hände falsch herum angefasst, um zu zeigen, dass ihr Bruder keine Ahnung davon hat, wie man sich mit einer taubblinden Person unterhält.

 

 

L: Das muss sehr schwer für dich sein. Nächste Frage: Hast du irgendwelche Hobbies, wie zum Beispiel Nähen, oder Dinge, die du gerne tust, wenn du nach Hause gehst? Viele Menschen schauen gerne Fernsehen, aber du bist blind. Viele Menschen hören gerne Musik, aber du bist taub. Sitzt du wirklich nur lange Zeit herum oder hast du nicht vielleicht doch manchmal etwas zu tun?

 

Auch hier musste Asma mir wieder helfen und Hanady erklären, was ich von ihr wissen wollte

 

A zu H: Wenn du nach Hause gehst und nicht in der Schule bist, sehen deine Tage dann immer nur so aus, dass du schläfst, isst, herumsitzt und dann wieder schläfst oder machst du manchmal auch noch etwas anderes?   

 

H: Manchmal lerne ich Braille und wiederhole vieles, was ich in der Schule gelernt habe. Mein Bruder ist manchmal außer Haus. Dann frage ich, ob man mal einen Ausflug machen kann. Allerdings ist es bis jetzt kaum dazu gekommen.

 

A: Aber es gibt noch mehr, dass du gerne tust oder?

 

Dieses Mal konnte Hanady auch Asma nicht folgen. Deshalb meinte Asma, dass wir kurz eine Pause einlegen sollten, da Hanady sich nicht mehr so gut konzentrieren kann. Ich kann dies sehr gut nachvollziehen. Man muss sich vorstellen, dass Hanady diese schweren Fragen versteht, indem sie die Bewegungen anderer Menschen erfühlt und ihnen folgt. Natürlich braucht dies viel Konzentration und einen klaren Kopf. Deshalb meinte Asma, dass wir Hanady kurz Zeit geben sollten, um sich zu sammeln.

 

 

5 Minuten später:

 

L: Wenn du nach Hause gehst, kannst du dich irgendwie beschäftigen?

 

H: Die Lehrer geben mir viele Blätter mit Brailleschrift mit und ich lerne das dann zu Hause. Außerdem nähe oder webe ich mit einem kleinen Webrahmen ein Wenig.

 

 

L: Okay. Nächste Frage: Wie sieht dein Schulalltag hier an der Schule aus? Gibt es da einen Plan?

 

Hierbei hat Asma zu mir gemeint, dass ich die Gebärden Plan und Stichpunkte hervorheben soll.

 

H: Zuerst ziehe ich mich an und gehe zum Frühstück. Danach gehe ich in die Kapelle zur Morgenandacht. Daraufhin muss ich mich für die Schule aufstellen. Heute hatte ich zuerst Religionsunterricht. Danach stand Gebärdensprache und Brailleschrift lesen auf dem Plan. Dann stand die Teepause an. Nachdem ich einen Tee getrunken hatte, lernte ich ein Bisschen mehr über das Land Jordanien, wo zum Beispiel die einzelnen Sehenswürdigkeiten liegen. Danach habe ich gebetet. Dann stand Arabisch Unterricht an. Danach gab es Mittagessen und ich konnte in der Mittagspause ein Wenig entspannen. Anschließend stand noch ein Treffen mit Father Louay (dem Direktor der Schule) zusammen mit einigen Lehrern der taubblinden Abteilung an. Danach konnte ich noch bei der Wäsche und in der Küche helfen.

 

Normalerweise kann man anhand der Reaktion auf die Aussage eines Menschen feststellen, ob derjenige diese verstanden hat. Meistens ist dies ein Laut oder einfach eine besondere Mimik (dies ist vor allem in der Gebärdensprache der Fall). Hanady bekommt aber weder das Eine noch das Andere mit. Deshalb erklärte mir Asma, dass Hanady beigebracht wurde, dass ein Klaps auf den Oberarm bedeutet, dass man etwas verstanden hat.

 

 

L: Bald beginnt der Ramadan. Wirst du auch fasten?

 

H: Natürlich. Dies ist eine feste Regel.

 

L: Freust du dich darauf?

 

H: Ich mag das Fasten, weil ich es im Auftrag von Gott mache. Einen Monat lang werde ich tagsüber nichts essen oder trinken. Zum Beginn des Ramadans gehen alle Kinder nach Hause. Dann bin ich auch zu Hause und kann dort, ohne den ganzen Tag in der Schule gewesen zu sein, entspannter anfangen zu fasten.

 

 

L: Nächste Frage: Manchmal sitzt du lange Zeit nur herum. An was denkst du in dieser Zeit?

 

Hierzu ist anzumerken, dass ich Hanady täglich beim Frühstück und Mittagessen unterstütze. Ich reiche ihr essen, unterhalte mich mit ihr und helfe ihr zum Beispiel beim beträufeln des Joghurts mit Öl. Sie braucht nicht viel Hilfe. Man muss ihr meistens nur das Essen reichen, weil sie nicht weiß, wo es steht. Wenn sie aber fertig gegessen hat und ich mich mit ihr fertig unterhalten habe, sitzt sie halt wieder nur herum und ich habe mich immer schon gefragt, an was sie in solchen Momenten denkt.

 

Weil Hanady auch dieses Mal meinen Gebärden nicht ganz folgen konnte, hat Asma mir wieder unter die Arme gegriffen.

 

A zu H: Wenn du mal wieder lange Zeit alleine nur herumsitzt, an was denkst du da?

 

H: Ich mache mir Sorgen um meinen Bruder. Was, wenn er stirbt? Wer kümmert sich dann um mich? Außerdem denke ich auch an die Schule und versuche Gelerntes nochmal zu wiederholen. Ich rufe mir dann auch immer wieder ins Gedächtnis, dass, wenn jemand mit mir gebärdet, ich fokussiert bleiben muss und nicht in Gedanken abschweifen darf. Aber ich danke Gott auch, dass ich am Leben bin.

 

L: Wenn du also alleine bist, machts du dir oft Sorgen? Vor allem um deinen Bruder. Während ich mit Hanady gebärdete, merkte ich, wie sie mir zustimmt. Wenn ich taub und blind wäre, wäre ich unglaublich traurig. Aber wenn ich dich sehe, wie du lachst und dein Leben in die Hand nimmst, habe ich riesen Respekt vor dir.

 

Daraufhin war Hanady den Tränen ziemlich nahe und auch sehr glücklich.

 

H: Dankeschön. Ich habe alles verstanden, was du gebärdet hast.

 

 

L: Jetzt hätte ich keine weiteren Fragen mehr. Wenn du mich allerdings noch etwas fragen möchtest oder du noch etwas anderes los werden möchtest, kannst du das jetzt gerne machen.

 

H: Okay. Ich würde einmal gerne jemand zu mir nach Hause einladen. Also Besuch bekommen. Einfach, dass ich nicht so oft alleine bin und etwas Gesellschaft habe. Wenn ich nämlich zu Hause bin, bin ich sehr oft isoliert von der Außenwelt. Da hätte ich gerne jemanden, der mir ein Wenig Gesellschaft leistet.

 

L: Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Deshalb setze ich mich auch meistens zu dir beim Essen, um dich zu unterstützen und um dir auch zu erklären, was gerade in deinem Umfeld passiert. Vor allem, wenn gerade Gäste am Institut sind und diese zusammen mit dir an einem Tisch sitzen, setze ich mich zu dir, weil ich mir sicher bin, dass keiner der Gäste gebärden kann und du sonst ziemlich alleine wärst.

 

H: Und dafür bin ich dir auch sehr dankbar.

 

 

L: Keine weiteren Fragen. Vielen Dank. Das Interview war sehr interessant und hat mir viel Spaß gemacht. Danke, dass du dir Zeit für mich genommen hast.

 

H: Ich danke dir. Du kannst sehr gut gebärden und die Gespräche und Fragen haben mir auch Freude bereitet.

 

L zu A: Danke auch für deine Unterstützung. Manchmal habe ich ein Wenig zu schnell gebärdet und auch die falschen gebärdet verwendet. Ohne dich wäre dieses Interview nicht möglich gewesen, auch weil du eine Expertin in taktiler Gebärdensprache bist.

 

A: Kein Problem. Habe ich doch gerne gemacht.

 

 

 

 

Wenn die Nacht zum Tag wird

 

 

Der Ramadan hat begonnen und dieses Jahr dürfen die Kinder hier am Institut zum ersten Mal fasten. In diesem Monat hat sich mein Leben und meine Arbeit in Jordanien ziemlich verändert.

 

19:30 in Salt auf der Hammam Street. Normalerweise ist das Leben hier im vollen Gange. Die Gassen der historischen Markstraßen sind mit Menschen gefüllt und man hört so manchen Händler mit einem Kunden lauthals feilschen. Doch seit circa 2 Wochen sind um diese Zeit fast alle Läden geschlossen und man kann einmal quer über die Marktstraße blicken, weil die Gassen menschenleer sind.

 

22:30 in Salt auf der Hammam Street. Schon von weitem hört man, dass hier das Leben in vollem Gange ist. Die Gassen sind mit Menschen gefüllt und es herrscht ein reges Gedränge. Alle Läden haben offen und man hört so manchen Händler mit einem Kunden lauthals feilschen. Normalerweise ist um diese Zeit niemand mehr auf dem Markt unterwegs und die Gassen sind menschenleer.

 

Der Ramadan hat begonnen und die Nacht ist zum Tag geworden. Dieses Jahr dürfen sogar die Schüler bei mir am Institut das erste Mal fasten, weil der neue Direktor dies erlaubt. Für mich bedeutet dies aber auch einige Umstellungen.

 

Zum einen aber dürfen nicht alle Kinder fasten. Nur diejenigen, die über 14 Jahre alt sind, dürfen den Tag über nichts essen und trinken. Das heißt, dass sie zwischen Sonnenunter- und Sonnenaufgang etwas zu sich nehmen dürfen. Sobald der Muezzin also um 19:30 zum Gebet aufruft, ist Essen und Trinken erlaubt. Normalerweise gibt es bei mir am Institut aber um 18:00 Essen. Deshalb isst man sozusagen in zwei Gruppen. Die Kleineren um 18.00 und die Älteren um 19:30. Natürlich wollten auch einige der unter 14-jährigen fasten und weigerten sich zu Beginn des Ramadans zu essen. Da man ja niemanden zum Essen zwingen kann, mussten diese Kinder dann selber feststellen, dass sobald der Muezzin zum Abendgebet aufruft, sie nichts zum Essen kommen. Aber warum dürfen denn eigentlich nicht alle fasten. Ist es nicht viel besser, wenn alle zusammen um 19:30 essen und diejenigen, die nicht fasten wollen, Frühstück und Mittagessen bekommen? Wir haben zurzeit wieder Prüfungsphase. Die Kinder lernen von morgens bis abends den ganzen Tag. Noch dazu ist es sehr heiß in Jordanien und ohne zu trinken würden die Kinder sich zum einen beim lernen nicht konzentrieren können und zum anderen bei der Hitze eingehen. Also gibt es den Kompromiss, dass nur die etwas Älteren fasten dürfen.

 

Diejenigen, die fasten dürfen, essen zwei Mal am Tag. Einmal abends um 19:30 und um 3 Uhr morgens. Manchmal stehe ich morgens mit ihnen zusammen auf. Dies liegt aber manchmal auch daran, dass ich ja direkt neben den Schlafräumen der Kinder schlafe und oftmals mit aufwache, wenn die Älteren geweckt werden, was natürlich auch daran liegt, dass jemand ohne Gehör nicht immer daran denkt, dass es sehr laut sein kann, wenn man eine Türe zuschlägt.

 

Seit der Ramadan begonnen hat, wurden an manchen Straßen und auch hier im Institut Lichterketten mit Halbmonden und kleinen Lämpchen aufgehängt. Viele davon wurden von den Kindern im Kunstunterricht gebastelt und täglich fragt mich ein anderes Kind, welcher Halbmond denn der schönste sei. Wenn man allerdings in der Mittagshitze auf den Straßen Salts unterwegs ist, sollte man nicht in aller Öffentlichkeit seine Trinkflasche herausnehmen und einen großen, erfrischenden Schluck Wasser trinken, wie mir von vielen Muslimen am Anfang des Ramadans gesagt wurde. Wenn man nämlich nicht fastet, sollte man zumindest seinen Mitmenschen gegenüber Solidarität zeigen. Vielleicht wird einem sogar unterstellt, dass durch das eigene Trinken, die Menschen in der Umgebung auch zum Trinken verlockt werden, was bei dieser Hitze schon möglich ist. Deshalb kann es zu Pöbeleien und Beleidigungen kommen. Man sollte also nicht in der Öffentlichkeit trinken und essen.

 

Zurzeit gibt es abends auch oftmals Festessen, die von Mitarbeitern und etwas reicheren Bürgern Salts gezahlt werden. Während des Ramadans wird die Regel, dass man den Armen und Beeinträchtigten helfen soll, nämlich ziemlich großgeschrieben. Da alle Kinder bei mir am Institut taub sind und viele davon auch aus armen Familien kommen, wird oft ein gutes Essen bereitgestellt. Meistens gibt es das traditionell jordanische Mansaf oder Kabsa. Mansaf ist Lammfleisch mit Reis und Kabsa ist Hühnchen mit Reis. Nach dem Essen gibt es meistens noch eine Süßspeise namens Katajef. Katajef sind kleine zusammengefaltete Pfannkuchen mit einer Füllung, die aus süßem Käse besteht. Die Kinder lieben diese Festessen und sind unglaublich glücklich, wenn sie mit einem vollen Bauch dann in die Schlafräume zurückstapfen. Ich muss abends dann einen Eimer vor dem ein oder anderen Bett aufstellen, da die Gefahr, dass man zu viel gegessen hat, doch relativ groß ist.

 

Schon bevor der Ramadan begonnen hat, haben viele der Kinder angefangen zu beten. Von zu Hause wurden Gebetsteppiche mitgebracht und zu bestimmten Zeiten lehrten die Älteren den Jüngeren den genauen Ablauf des Betens (wie oft man sich hinknien muss, wann man aufsteht usw…). Seitdem hängen auch überall im Internat kleine Zettelchen, auf denen Koranverse stehen. Diese werde von den Kindern während des Betens still im Kopf wiederholt. Problematisch ist dabei aber, dass viele der Kinder über dem Beten ihre Pflichten vergessen. So wird die Wäsche nicht mehr aufgeräumt und oftmals wird das Zähneputzen auch vergessen. Leider wird Beten auch als Ausrede verwendet, um bestimmte Pflichten zu umgehen. Zum Beispiel hat ein Junge während meiner Pausenhofaufsicht mehrmals andere Kinder gehänselt und auch geschlagen. Also wollte ich ihn die Wäsche abends zusammenlegen lassen. Der Junge wusste genau, was auf ihn zukommt und hat eine Ewigkeit abends „gebetet“, um die Strafe zu umgehen. Auch als alle anderen schon fertig waren, hat er einfach weiter gemacht und wohl gehofft, dass ich vergesse ihn eine Aufagbe zu geben. Irgendwann war ich mit meiner Geduld am Ende und habe ihm gebärdet, dass er so lange beten kann wie er will, jedoch werden sich die Kleider nicht von alleine zusammenlegen. Daraufhin hat er sofort seinen Gebetsteppich zusammengerollt und angefangen, die Schulkleidung der Kinder zusammenzufalten. Leider war dies kein Einzelfall und ich bin ein wenig froh, dass sich der anfänglichen Gebetseifer in der Zwischenzeit wieder gelegt hat.

 

Außerdem lebten die Kinder vor allem zu Beginn des Ramadans plötzlich nach vielen Regeln, die anscheinend so im Koran stehen, wie sie mir erklärten. Eines schönen morgens zum Beispiel, als ich schon vor dem Essen bei der Aufsicht war, habe ich ausversehen eine Ameise zertreten. Daraufhin haben mich sofort mehrere Kinder darauf aufmerksam gemacht und gemeint, dass dies Haram sei. Auf meine Frage warum, wurde mir geantwortet, dass ich ja nie wissen kann, ob ich in einem anderen Leben oder in Hölle mal ganz klein sein werde und die Ameise plötzlich riesen groß wird. Aus diesem Grund solle man immer auf seine Umgebung Acht geben und niemandem Schaden zufügen. Daraufhin fragte ich aber, ob sie die Ameisen denn am Leben lassen würden, wenn plötzlich ganz viele von ihnen all unser Essen wegessen würden. Wenn wir nur stumm zugucken, würden wir verhungern. Allah kariem. Gott sorgt, war die Gebärde, die sie mir als Antwort gaben. Alles, was passiert, ist von Gott so gewollt und, wenn man ein guter Muslim ist, wird Gott immer für einen sorgen. 5 Minuten später haben manche aber schon wieder angefangen sich gegenseitig zu hänseln und aufgehört auf ihre Umgebung Acht zugeben.

 

 

Lichterketten, gutes Essen und alle sind glücklich. Irgendwie erinnert mich der Ramadan in Jordanien stark an Weihnachten in Deutschland. Nur, dass dieses Ereignis einen Monat lang geht. Viele der Kinder erzählten mir auch, dass nachts, wenn Essen und Trinken erlaubt ist, manchmal ihre ganze Familie zusammenkommt und alle die friedliche Gemeinschaft genießen. Auch dies kann man mit den traditionellen Besuchen bei Oma, Opa, Tante und Onkel an Weihnachten bei uns vergleichen. Die Hauptsache am Ramadan sind aber nicht die Geschenke. Meiner Meinung nach ist es das Zusammenkommen und die Gemeinschaft, die man am besten bei einem guten Essen genießen kann. Zu dem haben alle auch eine gemeinsame Herausforderung zu bestehen. Nämlich tagsüber nicht zu essen und zu trinken. Allerdings erlebe ich den Ramadan bei mir am Institut auch so, dass es in erster Linie nicht darum geht, ein guter Muslim zu sein. Viel mehr herrscht ein ziemlicher Druck auf manchen der Kinder, weil ihnen von anderen Kindern gesagt wird, dass wenn sie ihr Fasten brechen, sie in die Hölle kommen. Dennoch gefällt mir die Idee des Miteinanders und der Gemeinschaft sehr. Dadurch ist es dann auch nicht weiter schlimm, wenn ich um 3 Uhr nachts mal wieder von einer zugeschlagenen Tür geweckt werde, weil ich gemütlich im Schlafanzug einen Tee trinken kann, während alle um mich herum glücklich am Essen sind und gemeinsam den Tag willkommen heißen.

 

   

 

 

 

 

 

Ein Experte in 7 Monaten

 

Mal wieder habe ich mich länger nicht gemeldet. Naja, zugegeben meine Arbeit am Institut ist Woche für Woche eigentlich die Gleiche und nicht wirklich oft passiert etwas besonders. Ich stehe immer noch morgens früh auf und gehe abends spät ins Bett. Dazwischen beaufsichtige ich Kinder. Allerdings bin ich in der Zwischenzeit darin echt gut geworden. Ich kenne jedes Kind ziemlich gut und weiß genau, was ich machen muss, wenn ein Kind anstrengend ist oder wie ich ein Kind am besten trösten kann, wenn es mal weint.

 

Seit dem Direktorwechsel sind die Kinder zugegebenermaßen anstrengender geworden. Deshalb bin ich ziemlich froh, dass ich mir in der Zwischenzeit einigermaßen eine Autorität erarbeitet konnte.

Auch mit den 3-5-jährigen Kinder komme ich sehr gut klar und viele nennen mich auch schon scherzhaft 5fachen Vater. Am Anfang hatte ich noch Probleme passende Spiele für Gehörlose in diesem Alter zu finden. Allerdings weiß auch hier in der Zwischenzeit gute Programmpunkte.  In der Gebärdensprache habe ich neulich mein Zertifikat bekommen und Level 2 erfolgreich abgeschlossen.

 

Aktuell ist es sehr stressig, da Joel in der Schweiz ist, der Ramadan und mal wieder meine "geliebte" Prüfungsphase angefangen ha. Da Joel nicht da ist, habe ich keinen ganz freien Tag in der Woche und natürlich ist es im Boardinghouse auch anstrengender. Außerdem dürfen die Kinder über 14 fasten. Deshalb stehen sie um 3:00 nachts, bevor der Muezzin das erste Gebet anstimmt, um noch etwas zu essen. Da ich dann auch aufwache, stehe ich manchmal gemeinsam mit ihnen auf und trink nen Tee und ess Fladenbrot.

 

 

So viel zu meiner Arbeit. Neulich aber habe ich eine überraschende Nachricht von einer Frau bekommen, die ich bei der deutschen Gemeinde kennengelernt habe. Sie heißt Inga und macht zurzeit eine Art Praktikum in Jordanien. Dabei hilft sie bei verschiedenen Projekten mit und lernt Arabisch. Als ich sie beim Osterfrühstück der deutschen Gemeinde kennengelernt habe, hat sie gerade eine Art Freiwilligendienst in einer Einrichtung für Flüchtlinge nahe des großen Flüchtlingscamps Azraq gemacht. Dieses Projekt hilft vor allem Kindern von Flüchtlingen, die nicht in das Azraq-Camp aufgenommen wurden und nun illegal in Jordanien sind, eine Schulbildung zu bekommen. Außerdem unterstützt es die Familien auch finanziell. Inga hat mir neulich aber geschrieben, dass die Projektleiter eine Mutter mit einem gehörlosen Kind gefunden haben. Die beiden seien aus Syrien geflohen und befänden sich nun illegal im Land. Seit 3 Monaten versuchen die Lehrer jetzt schon dem Kind lesen und schreiben bei zu bringen, aber sie scheitern jedes Mal aufs Neue. Der Junge heißt Sa’at. Er ist 12 Jahre alt, so gut wie komplett gehörlos und versteht keine Gebärdensprache. Das macht es unglaublich schwer ihm etwas beizubringen. Inga hat mich also gefragt, ob ich das Projekt nicht mal besuchen möchte und dem Jungen eine wenig Gebärdensprache beibringen könnte. Ich sagte zu, einfach weil ich dann auch mal den Norden von Jordanien sehen kann und am Azraq-Camp vorbeikomme.

 

Am nächsten Tag fuhr ich also mit dem Bus nach Amman, um Inga zu treffen. Dort traf ich auch gleichzeitig auf Oweis. Er ist der Projektmanager der Schule und kommt ursprünglich aus Jordanien. Er erklärte mir ein wenig mehr über das Projekt. Wir fuhren los und holten auf dem nach Azraq noch Martine ab. Martine ist aus Kanada und 80 Jahre alt. Sie ist eine der Direktorinnen des Projektes. Martine arbeitet mit Herzblut an der Schule und gibt ihr bestes, dass es den Kindern dort gut geht. Da sie ziemlich gute Kontakte hat und diese auch gut pflegt, ist die Finanzierung des Projektes kein Problem, wie mir Oweis erklärte. Als wir Martine dann eingesammelt hatten, war sie sehr glücklich mich zu sehen. Sie meinte, sie sei froh jemanden wie mich dabei zu haben, wenn wir die Schule besuchen. Während der 2 stündigen Fahrt erklärte sie mir ihre Pläne über die Zukunft von Sa’at. Sie möchte ihm mit einem eins-zu-eins Lehrer Arabisch und Englisch beibringen. Am besten mit Ballspielen im Freien, sodass es nicht so eintönig ist. Dann möchte sie ihm ein technisches Devis geben, eine Art Laptop, sodass er sich mir seinen Freunden unterhalten kann. Dies erstaunte mich sehr. Ich kenne viele gehörlosen Menschen vom Institut. Viele davon haben studiert und haben einen Hochschulabschluss. Aber allen fällt es schwer zu lesen und zu schreiben. Jeder von ihnen braucht Ewigkeiten, um ein Buch auf Arabisch zu lesen und niemand kann einen 100 Wörter Text fehlerfrei schreiben. Dies impliziert jetzt vielleicht, dass gehörlosen Menschen dumm sind (was auf jeden Fall nicht stimmt), allerdings muss man auch bedenken, dass eine Schrift abgeleitet von einer Lautsprache etwas unglaublich Schweres für Menschen ohne Gehör ist. Wenn wir ein Wort lesen, dann hören wir es auch sofort in unserem Kopf. Wir hörenden Menschen denken größtenteils in Sätzen und Wörtern. Ein tauber Mensch hingegen denkt in Bildern. Manche sogar in Gebärden. Deshalb ist eine Schrift etwas sehr schwer Verständliches für jemanden ohne Gehör. Klar man kann dem Jungen einzelne Wörter, vielleicht sogar Sätze beibringen und er kann auch verstehen, dass dieses Wort dann einen Gegenstand nur widerspiegelt und er sich so verständigen kann. Allerdings wird er dann niemals richtige Gespräche führen können, richtig über etwas diskutieren können und niemals wirklich sagen können, was ihm gerade durch den Kopf geht. Ich empfahl also dem Jungen zuerst Gebärdensprache beizubringen, sodass er eine grundlegende Sprache hat, von der aus er dann weitere Sprachen lernen kann. Dieser Gedanke missfiel Martine aber ein wenig. Sie fragte mich dann, mit wem er sich denn unterhalten solle. Niemand in Azraq kennt Gebärdensprache. Seine Mutter wird ihn niemals verstehen können. Eine ziemliche Diskussion entbrannte. Daraufhin fragte ich aber, wie er sich überhaupt mit seiner Mutter unterhalten soll. Klar er kann mit dem bisschen Arabisch, das er durch einen eins-zu-eins Lehrer lernen wird, sagen, was er will, aber er wird niemals ein richtiges Gespräch führen können. Dies wollte Martine nicht ganz glauben. Sie entgegnete, dass sie von einer taub-blinden Person gehört hat (Helen Keller), die sogar ein Buch geschrieben hat. Wieso sollte dann der taube Sa’at nicht Lesen und Schreiben lernen können. Da ich von meinem Insitut auch taub-blinde Menschen kenne, war ich ziemlich sicher, dass es ein langer und harter Weg war, ihr Lesen und Schreiben beizubringen. Außerdem ist dies auch nur ein Einzelfall und man brauchte viele Ressourcen – vor allem Zeit- um dies möglich zu machen. Außerdem empfahl ich den Jungen zu mir auf die Schule zu schicken. Dort findet er Freunde und Menschen in seinem Alter, denen es genauso geht wie ihm selber. Er hat dort eine Gemeinschaft, kann richtige Freunde finden und Gebärden im Nullkommanichts lernen. Zwar wohnt er in Azraq, was weit entfernt von Salt liegt, kann aber im Boardinghouse zusammen mit Kindern in seinem Alter leben. In der Zwischenzeit konnte ich Martine davon überzeugen, dass Sa’at Gebärdensprache lernen sollte und dafür am besten auf meine Schule gehen sollte. Allerdings war sie strikt dagegen ihn ins Internat zu geben, da er sonst getrennt von seiner Mutter währe und die beiden einander brauchen. Außerdem hat er noch einen Zwillingsbruder, welchen er sehr mag. Ihr stärkstes Argument war, dass der Junge nicht verstehen würde, dass seine Mutter ihn nicht verbannt, sondern ihn nur abgibt und in 4 Wochen wiederholen wird. Martine meinte, dass der Junge vielleicht ein traumatisches Erlebnis erfahren würde, von dem er sich nie wieder erholen könnte. Dem konnte ich nichts entgegnen. Zumal ich selber erfahren durfte, dass manche Kinder, welche zum ersten Mal von ihrer Mutter getrennt sind, für eine Woche durch weinen und dann doch wieder abgeholt werden, weil sie anfangen um sich zu schlagen oder sich weigern zu essen. Vor allem am Anfang des Schuljahres hatten wir viele solcher Kinder. Zwar haben manche echt durchgehalten und sich wunderbar etabliert in der neuen Umgebung, allerdings konnte ich schon verstehen, dass Martine dieses Risiko nicht eingehen wollte. Also machte sie mir einen Gegenvorschlag. Sie meinte, dass es kein Problem darstellen sollte, die Familie von Azraq nach Salt umzusiedeln und mit finanzieller Unterstützung eine Wohnung zu ermöglichen mit einer Art „Taschengeld“, sodass Sa’at ein Tagesschüler am Institut werden kann. Diesen Vorschlag fand ich entwicklungspolitisch zwar kritisch, weil die Mutter somit ja dauerhaft vom Taschengeld und den Mietzahlungen der Unterstützer abhängig war, aber es war eine Möglichkeit den Jungen auf das HLID zu schicken.  

 

Noch während wir diskutierten, erreichten wir die Schule. Dort wurden wir und besonders ich schon erwartet. Ich wurde von der Schulleiterin in einen Raum geführt und an einen großen Verhandlungstisch gebeten, an welchem schon ziemlich wichtig aussehende Leute saßen. Daraufhin wurde ich als Experte für gehörlose Kinder vorgestellt. Ziemlich verblüfft habe ich erstmal klargestellt, dass ich nur ein Volontär bin. Daraufhin wurde die Mutter mit dem jungen Sa’at hereingeführt. Ich erklärte unterlegt mit Gebärdensprache, dass ich empfehle den Jungen nächstes Jahr zum Schulanfang nach Salt in die Schule zu schicken. Ich blickte in erstaunte Gesichter. Viele waren von den Gebärden fasziniert und waren daraufhin ziemlich überzeugt, dass es das Beste ist, dem Jungen Gebärden beizubringen. Daraufhin erklärte Martine ihren Plan die Familie nach Salt umzusiedeln. Dieser Plan musste aber erst noch durchdacht werden, weil es nicht so einfach ist, wie Martine es sich vorstellt, eine Familie einfach von einen Ort zum Anderen zu schicken. Die Mutter war mit diesem Plan übrigens einverstanden, da sie keine wirkliche Bindung zu der Stadt Azraq hat und sich erhoffte in Salt ein neues Leben starten zu können. Mit diesem Zwischenstand waren alle zufrieden und man konnte etwas anderes besprechen. Deshalb konnte ich mit Inga und Oweis Freundin ein wenig die Stadt Azraq erkunden. Die Stadt hatte nicht viel zu bieten und deshalb aßen wir nur eine Kleinigkeit. Danach warteten wir an der Schule bis die Sitzung zu Ende war und fuhren zurück nach Amman. Auf der Rückfahrt diskutierten Martine und ich nochmals ein bisschen darüber, ob Kinder wirklich in Trauma davontragen, wenn sie zum ersten Mal von ihrer Mutter getrennt werden. Wir konnten uns aber darauf einigen, dass es wohl erstmal das Beste sei, wenn Martine mich am Institut mal besuchen kommt.

 

 

 

Samstag, 10:30. Fragezeichen auf den Gesichtern der Schüler des HLIDs. Der Volontär ist in Begleitung einer 80jährigen Oma. Hat er etwa Besuch von seiner Großmutter erhalten? Nur wenige trauen sich nachzufragen. Wer ist diese frau? Eine 80jährige Kanadierin. Wie kommt die hier nach Jordanien???? Die Fragezeichen wurden noch größer. 

 

Ungefähr so wurde Martine von den Schülern am HLID begrüßt. Sie hatte es also geschafft, mich zu besuchen und ich zeigte ihr das Institut. Vor allem bei der Berufsausbildung war sie sehr überrascht, dass es solch eine gute Möglichkeit gibt, ein gehörloses Kind auf einen späteren Beruf vorzubereiten. Außerdem konnte ich sogar ein kleines Treffen mit der Direktorin der Schule organisieren, sodass Martine sich nochmals vergewissern konnte, dass Sa’at hier wirklich aufgenommen werden kann. Nach der Führung wollte Martine mich unbedingt noch zum Essen einladen. Nach dem Essen war Martine sehr glücklich, mich kennengelernt zu haben und ich war um einen guten Kontakt reicher. 

 

 

 

 

 

Als ich übrigens gegen 20.00 Uhr von Azraq zurück nach Salt kam, hatte mir Inga schon eine Mail weitergeleitet, die Martine allen beteiligten des heutigen Meetings zugesendet hatte. In dieser Mail bringt sie den Tag ziemlich genau auf den Punkt. Außerdem erzählte ich ihr auch etwas über die derzeitige Situation an der Schule, welche sie auch nochmals aufgreift. Weil ich die Mail sehr lesenswert finde, habe ich sie am Ende des Blogs einfach angehängt. 

 

 

 

Dear All,

 

 

 

(Inga would you kindly forward this to Leon, have mislaid his email address, thanks!)

 

 

 

A follow up on where our thinking now is regarding Sa'ad.

 

Today we met with Leon Held a dedicated, caring, great young 19 year old German man who has been working some 8 months in the Holy Land Deaf Institute located in Salt, a town near Amman. He was introduced to us by Inga Holtmann who in turn has been coming to the Azraq school from Luthansa the company she works for as a proficiency analyst. Inga has been a great help both in giving of her time as volunteer and providing me with some very useful contacts for Sa'ad.

 

I had thought we could with a one-to-one provide Sa'ad with the ability to read but it turns out this is much more complex than I imagined.

 

Leon told me that profoundly deaf children rarely learn to read well, though some do, but that they can express themselves and communicate better in sign language.

 

I found this very disappointing as that would confine his social communication solely to those who can sign, and in Jordan, other than the deaf, who can sign? Few and far between no doubt.

 

But Leon rightly pointed out that if you cannot read and write well life would also be very isolating without signing and a group of signing peers.

 

So it seems his best option is to learn to sign to have some social group.

 

This requires him to have access to a deaf institute. There are governmental deaf institutes in Jordan but they are said to be very impersonal.

 

There is a good institute in Salt as mentioned above.

 

But how to get there for him? Too far from Azraq for daily commute.

 

Leon told us that the institute does have boarders, children stay a few months at a stretch and then go home for a week. They also go home for summer holidays and holidays such as Christmas. (It is a Christian institution founded by a Dutch monk who until very recently was it's director for 40 years.)

 

When I asked Leon how one could prepare a child with zero language and virtually no signing (except a little he made up himself) how can one explain he is not abandoned when suddenly dropped off by a parent who is then advised not to visit the child until it was time to return home after a few months?

 

Leon told us most of the children who cannot be made to understand cry incessantly sometimes for weeks on end, but then finally settle in, except for a few who do not return on going home.

 

This is an unsurmountable obstacle in my view, I could never do this to any of my children and don't want to be involved in giving so much trauma to young Sa'ad. Even when they seem fine after some months, as a psychiatrist I fear that post traumatic stress disorder developing years later is likely not recognized. And in any case to me that is far too traumatic, he would know nothing but that he was suddenly abandoned. Even if staff are kind and supportive which people like Leon most certainly are, he is now with zero communication abruptly cut off from everything familiar.

 

However, Leon said they do have a Day Program but it would mean the family moving to Salt. They have been in Azraq for 6 years. Luckily the father does odd jobs, even as far afield as Saudi, so he could from that perspective move. We have as yet no idea how the rest of the family would feel about this but the mother said she would do this for her boy but naturally would need to speak first to the rest of the family.

 

For poor families the institute is free but of course we would need to both move and support the family for some time in their new location, which I said we could do. We also said we would help the mother visit the institute before they make any decision.

 

As the summer holidays are near, Leon suggested if Sa'ad does go to Salt, the best time would be in Sept at the beginning of a new school year.

 

In the meantime we will start with the one-to-one coming 5 days a week for the 31/2 hours of our school in the mornings.even through the summer and see how he does.

 

Tonight I researched some literature on the internet and it seems that indeed knowing signing facilitates learning to read. However his prospects are very bleak for good communication as he is so old to learn any language, signing or reading.

 

 

 

Today Sa'ad greeted us with a broad beaming smile, held out his hand to Leon and later was delighted with the learning aids, (Arabic letters, exercise books, bouncing ball, pencil holder etc) that I had bought for him. He looked intently at pictures, tried making Arabic- looking letters with his new pens, and was thrilled when I tried to introduce him to counting imitating my tapping objects but not relating it to the number of his little fingers I helped him hold up.

 

He was so clearly eager to be engaged that it felt very promising. However reading articles on the internet were sobering regarding his prognosis for learning to read. I would so love to try and teach him to read whilst he also was learning sign language. (The idea of sponsoring the family came to mind but may not be feasible.)

 

 

 

Whilst counting with him he did vocalize once and it seemed as if he tried to repeat the sound I made when  saying "one". Leon and Inga also noticed he seemed to have some hearing.

 

So we hope to take him to a good ENT clinic to be reassessed and fitted with the best hearing aid available.

 

 

 

I must say he stole all our hearts today with his lovely open smile and enthusiasm to be engaged.

 

 

 

On Saturday if at all possible I hope to visit the Salt Institute with Leon very kindly trying to set this up if possible.

 

Leon played a hugely important role in reshaping my ideas about what best to do  for Sa'ad,. We are most grateful to him for giving up a full day for this problem and to Inga for being so interested and helpful in arranging the contact for us. Still need to contact an ENT specialist here for whom she also found a contact.

 

Do wish this time I had had more days here but it was the only window before Ramadan I had.

 

 

 

This afternoon we had a very successful video conference, thank you Lexi for always leading these so expertly, Israa for doing a great job translating and for Owais in bringing up into the open some issues which were becoming problems. I think everyone including Nofa felt most satisfied at the end. I keep thinking how lucky we are to have  the team we have, the school feels like a happy place!

 

 

 

Cheers, will keep you posted on Sa'ad, if you find this too much just let me know and I will remove you from the list.

 

Martine

 

 

 *Martine und ich (Wie es sich für mich gehört, habe ich natürlich meine Augen zu)

 

 

 

  

 Übrigens kann man auf die Bilder klicken und man erfährt ein wenig über die Aufnahme.

Under the dome

 

Lange Zeit habe ich jetzt Nichts von mir hören lassen. Allerdings bleibt bei 60 Arbeitsstunden in der Woche nicht viel Zeit übrig, um an einem Blog zu schreiben. Nun aber hat der neue Direktor allen Mitarbeitern 2 freie Tage ermöglicht. Dies bedeutet für mich endlich mal wieder ruhige Nächte und Zeit für einen Blog😊

 

 

Wenn man schon morgens um 4:00 die Kinder aus den Stockbetten hüpfen hört, weiß man, dass Prüfungsphase ist. Jeder hier am Institut hasst diese Zeit. Die Kinder, weil sie von zu Hause und den Lehrern so unter Druck gesetzt werden, dass sie kaum ruhig schlafen können und abends erst sehr spät vom Lernen ins Bett gehen, um dann morgens nur wieder um 4:00 aufzustehen, um weiter zu lernen.  Die Lehrer, weil sie verantwortlich gemacht werden, wenn die Kinder schlechte Noten schreiben. Die Angestellten und Volontäre im Internat, weil die Kinder während ihrer Freizeit den Druck von sich lassen können und sich nicht mehr fühlen. Prüfungsphase bedeutet, dass sie nur noch Unfug machen und leicht gereizt werden. Außerdem muss man warten bis die Kinder fertig sind mit Lernen und auch aufstehen, wenn die Kinder morgens lernen wollen. Prüfungsphase bedeutet, dass die Kinder für 2 Wochen an jedem Schultag in einem anderen Fach einen Test schreiben. Und sie lernen nur einen Tag zuvor für den Test. Prüfungsphase bedeutet eine gedrückte Atmosphäre im ganzen Institut. Dies liegt anscheinend in der Kultur. Hier wird jedes Fach (sogar Mathe, Physik und Arabisch) nur auswendig gelernt. Die Lehrer tragen dazu aber auch einen Teil bei. Viele verstehen nur wenig Gebärden und schreiben deshalb alles an die Tafel, sodass die Schüler versuchen ein Notizbuch voller Aufschriebe in ihr Gedächtnis zu pauken, um diese nach der Prüfung wieder zu vergessen. Das traurige daran ist jedoch, dass die Klassenarbeiten eins zu eins aus den Heftaufschrieben bestehen, wodurch niemand lernt, um zu verstehen. Dadurch sind die Schüler gut in der Schule, die gut auswendig lernen können. Diejenigen, die wirklich eine Ahnung von einem Fach haben, werden kaum gefordert und gehen unter. Deshalb müssen sehr viele Schüler auch eine Klasse wiederholen. Einmal habe ich einem Schüler in Mathe geholfen. Er ist 15 Jahre alt und geht in die zweite Klasse. Es war eine einfache Rechnung gefordert.  8+5. 13 schrieb der Schüler selbstbewusst auf sein Blatt. Daraufhin gab ich ihm die Aufgabe 4+6. Ich sah Verzweiflung in seinen Augen. Wie sich herausstellte, hat er einfach die Rechnung an sich auswendig gelernt. Er hatte große Probleme die arabischen Zahlen von 1 bis 10 zu schreiben und konnte noch dazu nicht einmal + von – unterscheiden. Trotzdem lernte er fleißig an komplizierteren mal und geteilt Aufgaben mit weit größeren Zahlen. Natürlich merkte er sich nur die Symbole und die Reihenfolge und kam mit 15 von 30 Punkten glücklich zurück aus der Prüfung. Er kann halt einfach gut auswendig lernen. Naja jetzt ist diese Phase zum Glück überstanden.

 

 

Wie war eigentlich Weihnachten hier? Am letzten Tag bevor die Kinder nach Hause gehen durften, gab es noch eine große Weihnachtsfeier mit kleinen Theaterstücken, denen oftmals biblische Geschichten zu Grunde lagen. Allerdings werden diese von muslimischen Kinder gespielt und von muslimische Lehrer eingeprobt. Danach darf sich jeder beim Weihnachtsmann ein Geschenk abholen und glücklich nach Hause gehen. Das ganze Institut war festlich geschmückt und in jedem Raum stand ein Weihnachtsbaum. Ich hätte nicht gedacht, dass ich in diesem Jahr in Weihnachtsstimmung kommen würde. Am 24. fand dann eine sehr besinnliche Weihnachtsfeier statt. 15 Mitarbeiter und Volontäre, die rum ums Institut leben waren eingeladen. Somit kamen zu Weihnachten taube Menschen, Christen, Muslime, Koreaner, Holländer, Ägypter, Schweizer, Syrer und ein Deutscher zusammen, um die Geburt Jesus zu feiern. Es gab leckeren selbstgekochten Rinderbraten mit verschiedenen Beilagen wie zum Beispiel Hummus oder Bohnenmus. Danach wurden alle in die kleine Kapelle gebeten, in der Brother Andrew, der ehemalige Direktor der Schule, den besten Weihnachtsgottesdienst meines Lebens in Gebärdensprache gehalten hat. Danach durfte jeder noch für seine Liebsten beten, bevor man bis spät abends noch zusammensaß und Geschichten erzählte oder Weihnachtslieder wie „Stille Nacht“ in Gebärdensprache sang.    

                                                                 

 

Am nächsten Tag musste ich morgens schon wieder früh auf den Beinen sein. Der Pfarrer Jamil hat mir nämlich angeboten, mich mit in sein Heimatland Palästina mitzunehmen, um seine Familie zu besuchen. Er zeigt Volontären gerne sein Heimatland, weil er somit nämlich aus familiären Pflichten entbunden ist. Bei Christen in zumindest Palästina ist es nämlich so, dass man in der Weihnachtszeit all seine nächsten Verwandten besuchen sollte. Das schließt Geschwister, Tanten und Onkel und Cousins und Cousinen mit ein. Jamil hat darauf aber wenig Lust, weil er 8 Onkel und 13 Tanten hat, mit jeweils mindestens 3 Kinder, die es dann alle zu besuchen gilt. Noch dazu läuft jeder Besuch nach dem gleichen Schema ab. Dazu aber später mehr. Zuerst einmal gilt es nach Palästina hineinzukommen, was sich als relativ schwer herausstellte. Das erste Problem ist, dass die Grenze zwischen Jordanien und Palästina von Israel kontrolliert wird und Israel will eigentlich nicht, dass Leute aus dem Ausland nach Palästina einreisen. Deshalb wird jeder mit einem ausländischen Pass auf Herz und Nieren befragt, wo er hin will und was er dort tun möchte. Für Israel gilt Palästina nämlich als höchst unsicheres Land, indem man um sein Leben fürchten muss. Jamil meinte aber zu mir, dass Israel alles kontrolliert, was in das Land gebracht wird und wer sich gerade in diesem Land aufhält, um Palästina klein zu halten. Das Land ist sozusagen unter einer Glaskugel, wie in Steven Kings Roman „The Dome“, gefangen. Rund um wird es von Israel eingeschlossen und es ist unmöglich für Palästinenser etwas in das Land einzuführen, was größer als ihr Koffer ist und, was Israel nicht in diesem Land haben will.                                                                                                                               Natürlich will Israel nicht, dass ein junger deutscher in das Land einreist, weshalb ich bei meiner Befragung ziemlich geflunkert habe. Zum Glück hat mich Jamil darauf gut vorbereitet. Zum einen musste ich die Grenze getrennt von Jamil überquere. Der schon sehr alte Bus mit den Palästinensern wird nämlich einer sehr hohen Sicherheitskontrolle unterzogen, während ich ganz gemütlich in einem 4 Sterne Bus an der anderen Seite ankam. Danach beginnt auch schon die Befragung. Mein Gegenüber wollte wissen, was mein Reiseziel ist. Ich meinte, dass ich nach Jerusalem will, um die wunderschöne Stadt zu besichtigen. Des Weiteren wollte er wissen, warum ich dafür genau über Palästina reise. Ich antwortete, dass ich in Salt lebe, dort als Volontär arbeite und dies der schnellste Weg nach Jerusalem ist. Nachdem der Mann meine Organisation, die EMS, gegoogelt hatte, um zu erfahren, ob diese auch wirklich existiert, wollte er wissen, ob ich eine Kontaktperson oder ihm eine Unterkunft nennen konnte, in der ich in Jerusalem schlafen will. Ich gab ihm eine Visitenkarte von einem Pfarrer der anglikanischen Kirche Jerusalems, die mir Jamil für den Fall dieser Frage gegeben hatte. Ich meinte dazu, dass ich den Gästehäusern dieser Kirche schlafen werde. Damit gab sich der Mann zufrieden und winkte mich durch. Danach traf ich wieder auf Jamil, der mich aus der Schlange zu den Bussen nach Jerusalem zerrte und mir ein Busticket nach Jericho überreichte. In Jericho angekommen, nahmen wir ein Taxi nach Zababdi. Dies ist das Heimatdorf von Jamil. Dort wurde ich herzlich von seiner Familie empfangen und war nun richtig in der arabischen Kultur angekommen.

                                                                                       

Am ersten Abend waren Jamil und ich noch sehr müde von der langen Fahrt. Also gingen wir früh ins Bett. Am nächsten Tag konnte sich Jamil noch vor seiner Familienpflicht drücken. Seine Mutter forderte von ihm aber, dass er „wenigstens“ seine Tante und Onkel besucht. Nach einem üppigen Frühstück, beidem mir Jamils Mutter immer mehr und mehr Hummus, Käse, gebratene Kartoffeln, Rührei oder Hähnchenstreifen auf meinen Teller gab, besuchten wir die nahe gelegene Stadt Jenin. Jenin hat eigentlich nicht viel zu bieten außer einen Markt und ein Denkmal für eine deutsche Fliegerstaffel aus dem zweiten Weltkrieg, welches mir Jamil voller stolz präsentierte. Danach besuchten wir noch die sogenannte amerikanische Universität. Aber Moment: Warum gibt es eine amerikanische Universität in dem Land, dass Amerika wahrscheinlich am meisten hasst? Anscheinend wurde diese Universität im Jahr 2000 gebaut, um die nahende zweite Intifada doch noch zu verhindern. Die Intifada ist die Auflehnung von Palästina gegen das israelische Volk. Dabei befinden sich beide Länder im Ausnahmezustand und viele Todesopfer werden beklagt. Ziemlich aktuell ist gerade, dass dank der Entscheidung von Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, vielleicht die 3. Intifada bevorsteht. Im Jahre 2000 gab es starke Unruhen in Palästina, da Israel immer wieder die Gründung eines palästinensischen Staates verhinderte, und es dem „Land“ Palästina sehr schlecht ging. Die meisten Menschen lebten noch von Landwirtschaft und allgemein war so gut wie keine Wirtschaft vorhanden. Des Weiteren war die Bildung unheimlich schlecht und es gab wenige, nur sehr schlechte Universitäten. Wegen der schlechten Bildungsmöglichkeiten gab es kaum Chancen für das Land sich weiterzuentwickeln, weshalb große Unruhen im Volk vorherrschenden und Palästina wie ein Pulverfass war, bei dem nur ein Funke fehlte, sodass es zu einer weiteren Intifada kommt. Um dem entgegenzuwirken, errichtete die USA in Jenin eine super moderne Universität nach westlichen Standards. Es wurde sogar angeboten Professoren in Amerika weiterzubilden und sogar Neue auszubilden. Dennoch half dieser Schritt zur Schlichtung wenig. Durch den Protestlauf des ehemaligen israelitischen Politikers Ariel Scharon über den Tempelberg (das höchste Heiligtum der Muslime) am 28. September 2000, um gegen die Teilung Jerusalems zu protestieren, wurde ein Funke entzündet und gewalttätige Proteste gegen Israel entbrannten. Bei diesen Protesten starben 1036 Israelis, zu denen die Opfer der rund 150 Selbstmordanschläge nicht hinzuzählen, und circa 3600 Palästinenser, von denen 1000 einfache Zivilasten waren. Das Projekt, diese Universität fertigzubauen, wäre wegen der Intifada nun fast abgebrochen worden. Allerdings wurde es dann doch von Amerika weiter subventioniert und Palästina hat eine der modernsten Universitäten im Jordanland.

 

 

Wieder zu Hause in Zababdi wartete schon die familiäre Pflicht auf uns. Es galt dieses Mal bei den Häusern von 8 Tanten oder Onkel vorbeizufahren. Der Bruder von Jamil ist Taxifahrer und fährt ein Großraumtaxi. Also fuhren Jamils Brüder mit Ehefrau und insgesamt 4 Kinder, Jamils Eltern und Jamil und ich in einem Taxi von Haus zu Haus, um die Pflicht zu erfüllen. Der Besuch lief jedes Mal gleich ab. Man blieb nie länger als 20 Minuten, da es ja sein kann, dass eine andere Tante auch die selbe Person besuchen will und, da man immer in ein eher kleines Wohnzimmer gebeten wird, würden niemals 2 Großfamilien zugleich in einen Raum passen. Also wird man zu Beginn in das Wohnzimmer gebeten und oftmals musste man einer bestimmten Sitzplatzverteilung folgen. Der höchste Gast, das war meistens Jamil, da er Pfarrer ist, darf auf einer Art Chefsessel sitzen, welcher so platziert ist, dass man mit jedem im Raum gut kommunizieren kann. Normalweise darf immer der Vater der Familie in diesem Sessel sitzen, in unserem Fall wäre das Jamils Vater gewesen. Allerdings besitzt man als Pfarrer in der Familie ein sehr hohes Ansehen. Jamil wurde von vielen nur als „Asiss“ (arabisch für „der Pfarrer“) angesprochen. Noch dazu wurde er sehr oft in verschiedensten Problemsituationen um Rat gefragt. Mal war die Tochter nicht gut in der Schule oder man hatte Probleme mit der Arbeit. Bei solchen Problemen konnte Jamil gut helfen. Allerdings wurde er auch manchmal gefragt, ob er eine kaputte Steckdose reparieren könne oder sogar wisse, warum das Auto eines Onkels nicht mehr anspringen will. In solchen Situationen hat Jamil dann zuerst so getan als sei ein Experte für alles, hat dann aber mit einem Lächeln auf die Autowerkstatt im Ort oder den Elektroniker aufmerksam gemacht. Jamil hat als Pfarrer ein sehr hohes Ansehen hier. Seiner Familie gehört das halbe Dorf Zababdi und jeder kennt ihn. Es ist hier wie ein kleines Ereignis, wenn Jamil seine Heimat besucht.  Nachdem nun jeder seinen Sitzplatz gefunden hat, kam das jüngste Kind mit einem unglaublich kitschigen Behälter (meistens war es ein überdimensionaler Weihnachtsmannkopf mit Deckel), indem Schokolade drin war und jeder musste sich ein Schokoladenstück herausnehmen. Danach kam die Frau des Hauses und servierte arabischen Kaffee, welcher in kleinen Tässchen gegeben wurde, welche auch nur halb gefüllt waren. Danach gab es sogenanntes „Caack“. Dies ist ein traditionelles Gebäck gefüllt mit einer Anisfüllung. Das „Caack“ schmeckte jedes Mal genau gleich, weil jede Familie das gleiche Rezept verwendet, wie mir Jamil erklärte. Nach dem „Caack“ wurden Früchte gereicht und es gab Tee. Währenddessen diskutierten die Männer lautstark in Arabisch über dieses und jenes, während die Frauen eher ruhig und zurückhaltend Tee tranken. Nach dem Tee gab es noch selbstgebrannten Schnaps oder Wein. Manchmal schmeckte dieser nach Traubensaft und manchmal auch nur nach purem Alkohol. Ich bemerkte schnell, dass wenn ich diesen zu schnell trank, sofort die Mutter des Hauses kam und mir mehr Wein nachschenkte. Dann waren 20 Minuten auch schon vorbei und man verabschiedete sich herzlich. Sofort wurde die ganze Familie wieder ins Taxi gepresst: „Yalla“, auf zum nächsten Onkel. Das Ganze wurde nun 8mal wiederholt. Voll mit Caack, Kaffee und Wein ging es dann endlich nach Hause, wo ich noch vor dem Zubettgehen mit den Neffen von Jamil ein bisschen Fifa17 spielte.

 

 

Am nächsten Tag fuhren wir nach Ramallah und Jerusalem. Jamil wollte mir beide Städte zeigen, wobei uns ein Cousin von Jamil namens Jamil begleitete. Ramallah hat eigentlich nicht viel zu bieten. Diese Stadt ist aber bekannt, weil sie oft wegen Protesten und gewaltsamen Ausschreitungen in den weltweiten Medien ist. Wir machten uns eigentlich wieder auf einen Protest gefasst, da wegen Trumps Entscheidung die Botschaft der USA nach Jerusalem zu verlegen, fast täglich Demonstrationen hier stattfinden. Allerdings war es an diesem Tag sehr friedlich in der Stadt, obwohl überall Polizeieinheiten von Palästina und Israel zu sehen waren. Nachdem wir in einer Shishabar gemütlich Shawarma zu Mittag aßen, machten wir uns auf nach Jerusalem. Natürlich mussten wir die Grenze nach Israel wieder getrennt voneinander überqueren. Die Palästinenser wurden einem Sicherheitscheck nach dem anderen unterzogen, während ich gemütlich in einem Bus, den ich fast für mich alleine hatte, nach Jerusalem einreiste. Als wir uns dann an der Busstation wiedertrafen, besichtigten wir zuerst eine anglikanische Kirche. Danach gings aber schon zum „Damaskusgate“. Dort kauften wir uns als Snack zwei Sesamringe und für Jerusalem typisch riesengroße Falafeln. Frisch gestärkt liefen wir durch das Stadttor in die Altstadt von Jerusalem. Anscheinend befanden wir uns nun direkt auf dem echten Kreuzweg Jesus. Es gab nämlich Markierungen an bestimmten Stellen, welche die einzelnen Stationen des Kreuzwegs darstellen. Zum Beispiel tauchte auf einem engen Markt plötzlich ein Schild auf, auf welchem stand, dass Jesus genau hier zum zweiten Mal unter dem Kreuz gefallen ist. Jamil zeigte mir daraufhin die bekanntesten Kirchen in Ostjerusalem. Natürlich gingen wir auch in die Grabeskirche, in welcher sich der Berg Golgatha, also der Ort an dem Jesus gekreuzigt wurde, der Stein auf dem Jesus gesalbt wurde und auch das Grab Jesus befindet. Ich konnte das alles nicht wirklich glauben, fand es aber spannend zu sehen, wie viele Christen in totale Ekstase verfallen, wenn sie den Stein berühren dürfen, auf dem Jesus einmal lag. Das Besondere an dieser ist auch, dass sie von verschiedenen Konfessionen geteilt wird. Zum Beispiel habe ich gesehen wie, ein katholischer direkt neben einem orthodoxen Gottesdienst gehalten wurde. Jede dieser Konfessionen hat seinen eigenen Platz in der sehr großen Kirche bekommen, aber anscheinend gibt es doch auch Streit zwischen den einzelnen Glaubensauslegungen. Als wir wieder aus der Kirche herauskamen, schlenderten wir noch ein bisschen durch die kleinen Marktgassen. Dort gab es allerhand kitschiges Zeugs zu kaufen. Weihrauchschwenker, Aspergille (Weihwasserwedel) oder auch Dornenkronen aus Plastik. Jamil hat das alles ziemlich gefeiert und wollte unbedingt einen Weihrauchschwenker für die kleine Kirche des Institutes haben. Danach gingen wir vollbeladen mit Souvenirs zurück zur Grenze, wo ich wieder mal getrennt von Jamil und Jamil nach Palästina einreiste.

 

 

Als wir wieder in Zababdi waren, musste die Familienpflicht weiter erfüllt werden. Wieder standen 8 Tanten und Onkel auf dem Plan. Eine Tante lebte sogar für 3 Jahre in Deutschland und konnte ein wenig Deutsch reden. Sie war schon sehr alt und lebte alleine. Natürlich hat sie sich darüber gefreut, mal wieder ihr Deutsch auszuprobieren und mit mir ein wenig reden zu können. Als die ganze Familie spät abends voll gefuttert wieder zu Hause war, ging es schon früh ins Bett, denn am nächsten Tag ging es nach Nables, eine Stadt im Süden Palästinas, die etwas weiter weg liegt.

 

Nach 3 Stunden Fahrt im Taxi erreichten wir Nables. Dort trafen wir zuerst einen Freund von Jamil namens Wadie. Nables ist eine Stadt, in der wenig Christen leben. Also haben sich auch hier die verschiedenen Konfessionen zusammengetan und feiern jeden Sonntag einen Gottesdienst zusammen, wobei der Pfarrer von Woche zu Woche wechselt. Die einzelnen Kirchenarbeiten werden auch aufgeteilt. Somit ist Wadie als anglikanischer Pfarrer für die Sundayschool und den Kindergarten verantwortlich. Das interessante ist dabei aber, dass 90 Kinder jeden Sonntag zu ihm kommen und er ein ganzes Programm für sie vorbereitet. Das bedeutet, dass er ihnen nicht nur von Gott erzählt, sondern auch schulische Fächer unterrichtet und manchmal Ausflüge unternimmt. Aus diesem Grund sind 70 der 90 Kinder auch Muslime, die aus sehr armen Verhältnissen kommen. Wadie zeigte uns zuerst den Markt von Nables, welcher sehr alt ist, und danach das schöne Gelände der Kirche. Danach gingen wir zu einem Krankenhaus, welches von der anglikanischen Kirche finanziert wird. Außerdem lud uns Wadie zu einem guten Essen ein. Beim Essen erklärte Wadie mir, dass es Christen in Nables nicht leicht haben. Oftmals kommen sehr konservative Muslime aus den anliegenden Dörfern und randalieren an einer Kirche oder zünden sogar welche an. Dies kam zum Beispiel einmal vor, als der alte Papst Franziskus sich ein wenig abschätzig über Muslime geäußert hatte. Dies führte dazu, dass die Muslime in der Region um Nables ziemlich aufgebracht waren und ihre Wut an den Kirchen in Nables abgelassen haben. Aus diesem Grund ist Wadie auch der Meinung, dass sich mächtige Kirchenoberhäupter immer 2mal überlegen sollten, was sie sagen, weil nicht sie die direkten Folgen davon tragen müssen, sondern die Christen, die in nächster Nähe zu anderen Religionen leben. Traurigerweise sind umgekehrt Muslime in Deutschland von solch einer Diskriminierung betroffen, wenn sie zum Beispiel unbegründeterweise mit dem IS in Verbindung gebracht werden. Fertig gegessen verabschiedeten wir uns von Wadie und traten die Heimreise nach Zababdie an.  

 

 

Am nächsten Tag rief schon wieder die familiäre Pflicht und wir besuchten die restlichen Tanten und Onkel. Davor durfte ich allerdings noch einem von Jamils Brüdern, der Bäcker von Beruf ist, bei seiner Arbeit zuschauen. Jamils Bruder backt Brot noch auf traditionelle Art. Er besitzt einen kleinen Laden mit einem Ofen, bei dem von der Seite mit altem Holz (er hat einfach alte Möbel verfeuert, die ihm die Anwohner überließen) geheizt wird. Auf die dabei entstehenden heißen Überreste legt er den dünn ausgerollten Teig. Sobald sich dieser aufbläht und das Brot wirklich anfängt zu fliegen, ist es fertig und man kann es mit einem langen Stock, an dem ein Hacken befestigt ist, aus dem Ofen holen. Er macht auch ein Art Pizza, bei der das backende Fladenbrot mit Joghurt oder Sa*ater (dies ist eine sehr gesunde Gewürzmischung bestehend aus Thymian und Sesam) belegt wird. Sobald die „Pizza“ dann aus dem Ofen geholt wurde, wird sie mit Olivenöl verfeinert und man kann es sich schmecken lassen. Nachdem ich also ein leckeres Frühstück in der Bäckerei hatte, rief schon wieder die familiäre Pflicht und wir besuchten die restlichen Tanten und Onkel. Danach gab es noch ein großes Grillfest bei dem Jamils Eltern und Brüder anwesend waren und, bei welchem ich feierlich verabschiedet wurde.

 

Die Rückreise nach Salt verlief ohne Probleme. Jamil und ich fuhren früh morgens um 5:00 schon nach Jericho und der Grenzübergang nach Jordanien war einfach, da ich dieses Mal nicht auf nervige Fragen antworten musste. Jedoch war ich dann echt glücklich wieder in Salt zu sein, weil die Reise auch ziemlich anstrengend war.

 

 

Als ich nach Palästina einreiste, sah ich ein großes rotes Schild von der israelitischen Regierung. Darauf stand, dass man nicht in dieses „Land“ einreisen sollte, da man um sein Leben fürchten muss. Bull****! Ich habe mich in Palästina und speziell bei meiner Gastfamilie unglaublich wohl und sicher gefühlt. Diese 5 Tage haben mich wirklich in die arabische Kultur eingeführt und ich durfte viele nette Menschen kennenlernen. Außerdem wurde ich von Jamils Familie in Assad umbenannt, was Löwe auf Arabisch bedeutet.

 

 

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Was bisher geschah

 

 

 

Nun bin ich seit 2 Wochen in einer anderen Kultur; einer neuen Welt für mich. Hier funktioniert das Leben anders als gewohnt. Trotzdem finde ich mich gut zurecht und ich feiere es ziemlich, dieses „Abenteuer“ gewagt zu haben.

 

Nach einem entspannten Flug, bei dem ich zum ersten Mal mit der arabischen Sprache in Kontakt kam, da der Pilot nicht wirklich Englisch sprechen konnte, sah ich nach 4 Stunden die schönen Lichter der Hauptstadt Amman aus dem Flugzeugfenster aufblinken. Endlich da. Vor lauter Neugier und Vorfreude konnte ich die Nervosität, die mich den ganzen Flug lang begleitet hat, nicht mehr spüren. So langsam wuchs die Anspannung aber doch und ich malte mir schon ein Worstcase-Scenario aus, von Dingen, die schief laufen könnten: Was mach ich, wenn der Flughafen schlecht ausgeschildert ist, alles nur in arabischer Schrift geschrieben ist, der Security-Mann mir kein Visum ausstellen will (was durchaus schon vorgekommen ist) und mein Gepäck - warum auch immer - verloren gegangen ist? Zu meinem Glück waren all meine Zweifel unbegründet. Der Flughafen in Amman ist ziemlich klein. Man findet also schnell den Weg zu den Visa-Stellen. Euro in „J-D“ (Jordanische Dinar) wechseln zu lassen war auch kein Problem. Und da der Security-Mann kaum Englisch sprach und somit meine Antwort auf die Frage, was ich denn in Jordanien überhaupt will, nicht verstand, drückte er einfach einen Visa-Stempel in meinen Pass und winkte mich kopfschüttelnd durch. Meine beiden Gepäckstücke waren auch schnell gefunden. Die ersten Hürden konnte ich also problemlos nehmen.

 

Nun musste ich mich nur noch schwerbeladen mit Rucksack, Reisetasche und Handgepäck zum Ausgang schleppen. Dort war eine Menge los. Allerdings war ein schielender Mann mit einem breiten Lächeln und einem Schild, auf dem „The Holy Land Institut welcoms Leon Held“ stand, kaum zu übersehen. Als ich ihn begrüßte, kamen sogleich auch mein Schweizer Betreuer Joel und zwei Jungs in meinem Alter auf mich zu und begrüßten mich herzlich. Wie ich schnell merkte, waren der Mann und die beiden Jungs gehörlos, weshalb ich mich nicht wirklich mit ihnen unterhalten konnte. Allerdings merkte man ihnen an, dass sie froh waren, dass ich gut angekommen bin. Somit fühlte ich mich wirklich willkommen. Auf dem Weg vom Flughafen nach Salt waren wir dann noch original jordanisch Essen bei einem „KFC“.

 

Die erste Nacht in meinem kleinen aber feinen Zimmer war ziemlich hart. Nach der langen Reise war ich dann endlich um 1 Uhr im Bett. Konnte wegen der Hitze aber erst um 2.00 schlafen. Um 4.00 nachts begann dann der „Mullah“ sein Gebet zu singen, welches so laut ist, dass man in den ersten Nächten auf jeden Fall aufwacht. Wenn man es dann geschafft hat wieder einzuschlafen, wird man um 6.00 vom Krähen des Hahns geweckt. Ich muss mich wohl erst noch an die nächtlichen „Besonderheiten“ gewöhnen.

 

In meinen ersten Tagen lernte ich dann die Mitarbeiter und das Institut an sich kennen. Ich half vor allem „Salach“ (der Mann, der mich so nett am Flughafen begrüßt hat) bei der Arbeit (Möbel reparieren, Böden putzen, Hölzer schleifen). Joel zeigte mir dann auch ein wenig die Stadt Salt. Er kümmert sich wirklich fürsorglich um mich und er hilft mir wo er nur kann. Ich durfte sogar mit dem Pfarrer Jamil einen Ausflug nach Amman machen. Dort besuchten wird ein Automuseum des alten Königs Hussein und ein römisches Amphitheater. Der Ausflug war sehr interessant, da Amman wegen den Gebäuden und einer langen Tradition eine extrem arabische Stadt ist.      

 

Ich bin schon seit 2 Wochen in Jordanien und verbringe eigentlich ständig Zeit mit Gehörlosen. Dadurch wird meine Gebärdensprache von Tag zu Tag besser. Allerdings vergesse ich immer noch häufig, dass meine Mitmenschen mich nicht hören können. Deshalb kommt es schon mal vor, dass ich einfach auf Englisch oder mit den paar arabischen Sätzen, die ich spreche kann, auf diese Einrede. Daraufhin weiß der Gehörlose gar nicht wie im geschieht und mir wird zu spät bewusst, dass mich mein Gegenüber gar nicht verstehen kann. Meistens redet dann der Gehörlose mit mir unverständlichen Zeichen auf mich ein, was dann in einem beidseitigen Lachen endet.                                                                                                                                                                                                                                     Ein anderes Mal habe ich abends mit lauter Gehörlosen und Taubblinden den Abwasch in der Küche gemacht. Plötzlich klingelte das Telefon. Ich war in dieser Situation der einzige, der ein „Gespräch“ am Telefon führen kann. Somit drückten die Gehörlosen mir das Telefon in die Hand. Ich verstand natürlich kein Wort von dem, was der Mann am anderen Ende der Leitung auf Arabisch zu mir sagte. Ich war also auch Gehörlos. Im Endeffekte hat er dann irgendwie gemerkt, dass ich nur Englisch sprechen kann und sich mit einem „Goodbye“ von mir verabschiedet. Ich muss also auf jeden Fall mein Arabisch und meine Gebärdensprache verbessern.   

 

Obwohl das Institut aus Menschen verschiedenster Nationalitäten besteht (Ich habe Koreaner, Amerikaner, Holländer, Schweizer, Syrer und Ägypter kennengelernt), versteht man sich als eine große Familie. Auch ich fühle mich inzwischen als Teil dieser Familie. Zwar beginnt die Schule hier erst am 4. September, weshalb ich noch längst nicht alle Mitarbeiter kenne, aber so langsam fühle ich mich wie zu Hause.      

 

    

 

 

 

 

 



 

Die letzten freien Tage vor dem Schulstart

 

 Da gerade das Adha-Fest stattfindet, sind Ferien in Jordanien. Das bedeutet, dass ich so ziemlich der Einzige im Institut bin und deshalb Nichts zu tun habe. Dabei kann einem schnell langweilig werden. Deshalb wollte ich etwas unternehmen und dabei am liebsten noch die Umgebung der Stadt Salt kennenlernen. Also habe ich mir von meinem Freund Yohanna (ein koreanischer Langzeitfreiwilliger) ein Fahrrad ausgeliehen und bin von Salt in Richtung „Jofeh“ gefahren. „Jofeh“ ist ein kleiner Ort im Tal, welchen ich schon mit Joel besucht habe, da dort eine Außenstelle des Institutes ist. 

 

 Schon als ich durch Salt gefahren bin, haben mich wirklich alle Menschen komisch angeschaut. Ein Fahrrad sieht man hier nicht so oft. Zudem sitzt darauf noch ein Deutscher in kurzen Hosen und leuchtend orangenem Helm. Die Blicke waren sehr unangenehm und irgendwie hatte ich das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. Als ich jedoch aus Salt hinausgefahren bin, war ich so ziemlich alleine auf der Straße. Der Weg nach Jofeh geht immer steil bergab, da Salt in den Bergen (über 800m) und Jofeh im Tal (unter 0m) liegt. Zudem fährt man durch eine wunderschöne Landschaft von staubbedeckten Bergen. Es heißt sogar, dass hier ein Sohn von Moses begraben liegt. 

 

 Ich fahre also seelenruhig und staunend über die schöne Landschaft den steilen Weg nach Jofeh herunter, bis mir auffällt, dass die Straße wirklich sehr steil ist, und ich diese ja wieder hochfahren muss. Nach einem kleinen Mittagessen im Schatten unter Dattelpalmen, ging ich also den Aufstieg an. Allerdings waren die meisten Berge (zumindest für mich) zu steil, um sie mit dem Fahrrad erklimmen zu können. Also musste ich schieben. In der prallen Sonne irgendwo in der Einöde mit dem Fahrrad Hügel um Hügel zu erklimmen ist nicht wirklich schön. Immer wieder musste ich Pausen machen.

 

 Plötzlich aber kam ein kleiner blauer Lastwagen angefahren. Der Fahrer wusste wohl, dass es noch ein langer und steiler Weg bis nach Salt ist. Kurzerhand war das Fahrrad auf der Ladefläche verstaut und der Mann gab mir kühles Wasser zu trinken. Er hieß Kitar. In meinem schlechten arabisch konnte ich erklären, dass ich aus Deutschland komme und als Freiwilliger hier an einer Schule arbeite. Daraufhin lud mich Kitar auf einen Gewürzkaffee ein.

 

 Während ich also im Laster auf meinen Kaffee wartete, sprach mich plötzlich ein Polizist durch das Fahrzeugfenster an. Er konnte relativ gut Englisch und meinte, dass er stutzig geworden wäre, als er einen jungen Deutschen im Laster eines jordanischen Obsthändlers gesehen hatte. Ich erklärte ihm, wie es dazu kam und was ich in Jordanien mache. Für alle Fälle gab mir Ali (so hieß der Polizist) seine Nummer. Wie sich herausstellte, wollte Ali auch gerne ein paar Wörter Deutsch lernen, weshalb er mir anbot, dass, sobald ich einmal in Amman sein sollte, er mir die Stadt zeigen würde, wenn ich ihm etwas Deutsch beibringen würde. Dann erklärte er Kitar noch den Weg zu meinem Institut.  

 

 

 Am Nächsten Tag fuhr ich mit dem Bus nach Amman, um zwei Mädchen, die auch von meiner Organisation in Jordanien arbeiten, abzuholen. Da an diesem Tag das Adha-Fest war, hatte fast jeder Laden in Amman geschlossen, weshalb wir zurück nach Salt gefahren sind. Dort habe ich ihnen die kleine Stadt und meine Einsatzstelle gezeigt. Am nächsten Tag sind wir dann nochmal zusammen nach Amman gefahren. Dort wollten wir die „König-Abdullah-Moschee“ besichtigen. Allerdings waren wegen des Adha-Festes keine Besucher erlaubt, weshalb wir das große Bauwerk nur von außen betrachten konnte.

 

Die Mädchen sind dann auch schon nach Irbid aufgebrochen, während ich eigentlich noch ein Bisschen in Amman bleiben wollte. Ich rief also Ali an und fragte ihn, ob er mir etwas von Amman zeigen könnte. Er hatte Zeit und ich fuhr mit dem Taxi zu seiner Wohnung. Von dort aus nahm er mich zu dem Supermarkt mit angegliederten Schlachtbetrieb von seinem Onkel. Dort wurden wegen des Adha-Festes immer noch Schafe geschlachtet. Ich durfte zuschauen, wie sie ein totes Schaf auseinandernahmen. Es war wirklich ekelhaft. Der Kopf wurde fachmännisch abgetrennt und die Beine mit ein bis zwei gezielten Beilschlägen abgehackt. Ali hat mir wohl angemerkt, dass ich das Schlachten eines Schafes nicht so feier. Deshalb lud er mich auf eine Tasse Tee ein und danach noch zum Essen. Daraufhin begleitete er mich noch zum Bus. Nach 20 Minuten fahrt kam ich dann ziemlich erschöpft in meinem Institut an. Hier ist noch alles ruhig, aber in 2 Tagen schon werden 110 Kinder den Schulhof beleben.