Über mich

ein Sturz ins Ungewisse
- 10 Monate Jordanien

Alles Neu

Neue Schrift, neue Sprache, neue Kultur, neue Bekanntschaften. Für mich wird in den kommenden 10 Monaten in Jordanien fast alles neu sein. Mit diesem Blog will ich euch von meinen neuen Erlebnissen und Erfahrungen berichten, die ich an der Gehörlosenschule in Salt machen werde.

Wer bin ich? Ich bin Leon, 18 Jahre alt und komme aus Eislingen bei Stuttgart. In meiner Freizeit spiele ich gerne Tennis, Fußball und Klavier. Außerdem engagiere ich mich als Jungscharleiter in meiner Gemeinde und bin somit ein Teil des Eislinger Jugendwerks. Dort arbeite ich viel mit Kindern und Jugendlichen zusammen. Diese Arbeit macht mir immer wieder Spaß und bedeutet mir sehr viel.

Da ich nun mein Abitur in der Tasche habe, bin ich bereit, etwas völlig Neues zu erleben. Der Einsatz an der Gehörlosenschule in Salt wird zwar ein gewaltiger Einschnitt in meinem Leben sein, allerdings bringt er mir viele Erfahrungen und eine andere Sichtweise auf den Nahen Osten.

Durch diesen Freiwilligendienst in Jordanien geht auch ein Kindheitstraum für mich in Erfüllung. Die arabische Kultur und Sprache hat mich schon immer fasziniert und ich hoffe beides in den 10 Monaten besser kennenzulernen. Außerdem bin ich sehr gespannt, wie meine Mitmenschen auf mich reagieren werden.

Somit freue ich mich schon sehr auf die Zeit in meiner Einsatzstelle und die Herausforderungen, die mich in dem neuen Umfeld und bei meiner Arbeit mit den behinderten Kindern erwarten.

Wenn Ihr nun neugierig geworden seid, auf das, was ich alles in Jordanien erleben werde, schaut doch immer mal wieder hier vorbei und lest meinen neuesten Blogeintrag!

Mein Name eine Faust

Seit 4 Wochen ist der Schulhof nun mit Leben erfüllt. 110 taube Kinder sind dafür verantwortlich. Das bedeutet für mich allerdings ziemlich viel Arbeit und auch einen kühlen Kopf zu bewahren.

Zum Schulstart musste ich nun (leider) mein Zimmer wechseln. Nun schlafe ich bei den 6-16jährigen Schülern. Wenn diese nachts ein Problem haben, können sie bei mir klopfen und ich werde versuchen ihnen so gut, wie es geht, zu helfen. Weiß ich nicht weiter, dann rufe ich meinen Betreuer Joel an, der dann jeder Zeit von zu Hause herkommt. In diesen 4 Wochen hat es 3mal geklopft. Einmal wegen Nasenbluten, einmal wegen Atemnot und einmal um 5:00 morgens, weil ein Kind gedacht hat, dass ich verschlafen habe. Der Jungen, der Nasenbluten hatte, hat so heftig geblutet, dass sein ganzen Bett voll Blut war, und seine Nase, wie ein Wasserfall lief. In diesem Fall habe ich ihm einfach ein Tuch gegeben zum an die Nase halten. Außerdem habe ich Joel angerufen, weil ich nicht wusste, wo ich einen neuen Bettbezug nachts um 1:00 finden soll. Joel konnte dann zum Glück helfen und um 2:00 war ich wieder im Bett. Bei dem Kind mit Atemnot war ich schon vorgewarnt. Ich wusste, dass er Asthma hat. Deshalb gab ich ihm einfach sein Asthmaspray. Er war dann wieder ziemlich schnell im Bett. Und den Jungen, der gedacht hat, dass ich verschlafen habe, habe ich in allen Gebärden für Wut, die nur kenne, zusammengeschissen. Er war schneller im Bett als ich gucken konnte.

Mein Tagesplan:

6:00 - Wecken

Ich helfe Joel die Kinder zu wecken. Außerdem sind auch immer 3 „Shabab“ zur Unterstützung dabei, die zum Beispiel Zahnpasta und Klopapier ausgeben. Die Shabab sind die Schüler, die älter sind als 16. Die Gehörlosen Kinder wiederholen allerdings des Öfteren eine Klasse, so dass es schon vorkommt, dass der älteste der Shabab in der 11. Klasse und 23 Jahre alt ist. Sind die kleineren Kinder dann fertig angezogen und bereit für die Schule, gibt es um 7:30 Frühstück.

8:10 – Kapelle

Dort gibt es jeden Morgen eine Andacht. Dabei lernt man vor allem viele Gebete in Gebärdensprache und auch Wörter wie Gott, Jesus oder Heiliger Geist.

8:30 – Office (2mal die Woche)

Büroarbeit. Heißt für mich: Bilder aussortieren, Texte ins Deutsche übersetzten, Listen schreiben. Das hört sich jetzt vielleicht langweilig an, aber ich finde, dass das eine echte Abwechslung ist, da ich nicht die ganze Zeit auf Kinder aufpassen muss.

10.30 – Gebärden- oder Arabischunterricht

12:00 – Mittagessen

Von nun an habe ich bis 15:00 frei. Jetzt kann ich ein Bisschen ausruhen und abschalten.

15:00 – Wäsche

Jedes Kind hier hat seine eigene Nummer. Diese Nummer steht auf allem, was das Kind besitzt. Wenn die Wäsche nun also sauber ist, müssen ein paar Kinder diese in das Boardinghouse bringen und ich sortiere sie dann zusammen mit den Kindern in die einzelnen Wäschekörbchen.

15:30 – Supervising (Aufsicht)

Jeden Tag um diese Zeit gibt es ein wenig Obst und sie dürfen sich auf dem Pausenhof frei bewegen. Ich muss dabei aufpassen, dass die Kinder nicht abhauen (was durchaus häufiger vorkommt), sich nicht schlagen und kein Kind ausgeschlossen wird. Dabei spiele ich auch viel mit den Kindern und lerne neue Gebärden. Man muss aber wissen, dass viele Kinder hier eine psychische Krankheit haben. Es gibt Spastiker, die die ganze Zeit mit den Gliedern zucken (ihnen die Fingernägel zu schneiden ist wirklich schwer), Kinder die extrem schnell wütend werden und dann vor lauter Wut nicht mehr wissen, was sie gerade tun und wo sie gerade sind, Kinder, die mit 14 Jahren noch aussehen wie 6jährige, und Kinder mit einer Aufmerksamkeitsschwäche. Ich habe bei der Pausenhofaufsicht also alle Hände voll zu tun.

16:30 – Kinderbetreuung

Während nun alle Schul- und Kindergartenkinder Hausaufgaben machen müssen, muss ich auf die wirklich ganz kleinen Kinder aufpassen (2 bis 5-jährige). 2 der älteren Mädchen denken sich dabei Spiele aus. Allerdings werden immer die gleichen Spiele gespielt oder man gibt den Kindern einfach ein paar Spielsachen, damit sie beschäftigt sind. Falls jemand Spiele kennt, die man mit kleinen Gehörlosen Kindern spielen kann, kann man mir diese gerne zukommen lassen:)

18:00 – Abendessen

19:00 – Boardinghouse

Nun müssen die Kinder fürs Bett fertiggemacht oder geduscht werden. Außerdem schaut man dann je nach Wochentag vielleicht noch einen Film, malt Mandalas, geht zu einem Gottesdienst oder spielt einfach Brettspiele.

20:30

Die Kinder werden ins Bett geschickt. Damit sich die Kinder auch hier fern von zu Hause geborgen fühlen, werden sie noch umarmt und wer will kann für seine Liebsten beten. Es kommt nicht selten vor, dass man auch einen Kuss auf die Backe bekommt.

22:00

Natürlich schlafen Kinder nie direkt ein, was bedeutet, dass manche „Troublemaker“ noch unbedingt Verstecke spielen wollen oder einfach immer wieder das Licht anmachen, um sich mit den anderen unterhalten zu können. Deshalb warte ich immer noch zusammen mit Joel und den Shabab ab, ob auch wirklich jeder schläft.

22:30

Nun kann ich endlich schlafen gehen und gleichzeitig hoffen, dass mich niemand wecken wird.

Dies ist mein Tagesplan für Schultage. An Tagen, an denen keine Schule ist (hier Freitag und Sonntag), sieht mein Tag anders aus.

Freitag:

Jeden Freitagmorgen habe ich von 8:30 – 10:30 Supervising auf dem Pausenhof. Danach habe ich bis zum Mitagessen (13:00) frei. Um 14:00 muss ich dann die Ohren spitzen. Jeden Freitag findet nämlich der „Friday-Walk“ statt. Das bedeutet, dass alle kleineren Kindern zusammen mit den größeren Mädchen einen Ausflug zu einem besonderen Ort in Salt machen. Meistens läuft man dann auf einen der für Salt so typischen Berge und genießt den wunderschönen Ausblick. Während des „Walks“ muss ich aufpassen, dass kein Kind vor ein Auto springt, da die Kinder ja taub sind, und Motorengeräusche nicht hören. Für manche der größeren Mädchen ist es auch schwer ohne Kopftuch durch die Stadt zu laufen. Während der Schule gilt nämlich für alle Schülerinnen ein Kopftuchverbot hier am Institut. Witzig ist dabei, dass sich die Kinder immer zu zweit zusammenfinden und Händchen halten müssen. Manchmal kommt es dazu, dass ein Junge und ein Mädchen ein Paar bilden. Will der Junge aber kein Mädchen anfassen, macht er einfach die Gebärde für „Haram“. Dann nehmen beide jeweils das andere Ende eines Stocks in Hand und laufen so durch Salt. Ich mag den Walk, weil man einfach raus aus dem Schulareal kommt, andere Orte der Stadt sieht und viele Zeit mit den Kindern in einer Umgebung verbringt. Abends gibt es dann noch eine von drei wöchentlichen Duschen, bei denen ich meistens den Kindern die Zehennägel schneiden muss.

Sonntag:

Der Sonntag beginnt gleich wie der Freitag. Um 14:00 geht es allerdings nicht auf einen Walk. Jeden Sonntag bekommt jedes Kind 50Crush von der Schule, was circa 70cent entspricht. Dann gehen Mädchen und Jungen getrennt voneinander einkaufen und jedes Kind darf das kaufen, was es will. Die Kinder freuen sich dabei immer tierisch, und für manche ist es das Highlight der Woche. Abends ist dann wieder eine Dusche, bei der ich mein Bestes gebe die Zehennägel so schön wie möglich zu schneiden😉

Im Großen und Ganzen gefällt mir meine Arbeit hier am Institut. Mir ist selten langweilig und ich lerne wirklich viel. Natürlich mag ich nicht alles. Zum Beispiel auf die ganz kleinen Kinder aufzupassen ist wirklich anstrengend, weil manche von diesen die ganze Zeit abhauen wollen und es wirklich Nerven kostet diese wieder einzufangen. Wenn ich dann also ein Kind geschnappt habe, und zurück zur Gruppe gebracht habe, ist schon wieder ein anderes Kind abgehauen. Zwei Jungs sind besonders schwer zu betreuen, da diese aus dem Flüchtlingscamp Zaatari kommen und zusammen mit ihrer Familie aus Syrien geflohen sind.

Alle 3-4 Wochen gehen die Kinder nach Hause. An so einem Tag stehen die Kinder sehr früh auf, um sich schön für ihre Eltern zumachen. Es ist hier für die Kinder nämlich sehr wichtig, dass ihre Eltern stolz auf sie sind. Das gilt besonders für die Gehörlosen. Viele von ihnen haben hörende Geschwister, welche dann für die Eltern wichtiger sind. Bedeutet, dass manche Eltern ihre Kinder am Institut einfach abgeben, um sie „los zu haben“. Jetzt stellt man sich einer vor, dass ein Kind hier extra früher aufsteht, um sie sich schön für seine Eltern zu machen, damit diese stolz sind. Das Kind macht sich also viel Mühe. Um 16:00 sollten die Eltern einen dann abholen. Das Kind wartet voller Vorfreude endlich nach Hause zu kommen und sieht, wie ein Schüler nach dem anderen abgeholt wird. Das Kind wartet und wartet in seinen besten Kleidern, bis es sich irgendwann eingestehen muss: Meine Eltern haben mich vergessen. So etwas kommt hier durchaus vor. Deshalb sieht Joel als Volontäre es auch als unsere Aufgabe, diesen Kindern Wertschätzung entgegenzubringen und ihnen zu zeigen, dass sie etwas Besonderes sind.

Bei Abendessen neulich wurde auch meine Gebärde bekannt gegeben. Sie ist einfach eine ausgestreckte Faust. Die Kinder dürfen die Gebärde einer neuen Person meistens bestimmen und machen dies eigentlich nach dem äußeren Erscheinungsbild. Hat jemand also eine Narbe auf der Backe, wird diese auch wahrscheinlich zu seinem Gebärdennamen. Warum habe ich jetzt aber eine ausgestreckte Faust? Dies hängt mit dem (meiner Meinung nach)wohl schönsten Nachnamen der Welt zusammen. Ich konnte den Kindern hier vermitteln, dass mein Gebärdenname bei einem Praktikum in Deutschland eine ausgestreckte Fust war, da mein Nachname "Held" ist. Diese Gebärde haben die Kinder hier ziemlich gefeirt. Deshalb haben sie diese auch gleich übernommen. Eine ausgestreckte Faust steht in der jordanischen Gebärdensprache außerdem auch für Superman.

Außerhalb meines Schulalltages gehe ich zurzeit ins Fitnessstudio. Einfach den Kopf abschalten und zusammen mit wirklich gut durchtrainierten Arabern Zeit verbringen. Außerdem habe ich auch schon eine Tour durch meine Salt gemacht, welche wirklich interessant war, und bei der ich gelernt habe, dass Salt die wohl arabischste und eine der ältesten Städte Jordaniens ist.

Zu den einzelnen Bildern:

1. Die Kinder laufen zu zweit zusammen

2. Auch der taubblinde Mohammed darf mitkommen

3. Die Kinder laufen vor dem schönen bergigen Landschaft Salts

4. Der koreanische Langzeitfreiwillige Yohanna und ich

5. Meine Gebärde wird bekannt gegeben